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Buchtipp: Jarvis Cocker – Good Pop, Bad Pop

Buchtipp: Jarvis Cocker – Good Pop, Bad Pop

Pulp. Kennt eigentlich jeder, oder? Dass die Band bereits 1983 ihr Debüt veröffentlicht hat, war mir zugegebenermaßen gar nicht bewusst. Ich hatte ihre Anfänge in die Hochzeit des Britpop verortet. Common People, Disco 2000… ihr wisst schon.

Im Kopf von Frontmann Jarvis Cocker existierte die Band bereits weit vorher. Seit der Pubertät (noch bevor er auch nur annähernd ein Instrument spielen konnte) plante er akribisch die Karriere seiner Band. Als 15Jähriger hielt er seine ersten Ideen über das Dasein einer Band in seinem Schulheft fest. Vom Namen der Band über konkrete Zeichnungen der passenden Garderobe der Mitglieder bis hin zu einem gewagten Masterplan, die Musikindustrie zu unterwandern und umzuwandeln. Cocker hatte schon früh eine genaue Vorstellung von einem Leben als Popstar. Er wollte in einer Band spielen, seit er sieben war.

Besagtes Schulheft war dann auch die erste Entdeckung, die ihn darin bestärkte den Dachboden seiner Londoner Wohnung einer näheren Untersuchung zu unterziehen anstatt den kompletten Inhalt ungesehen zur Mülldeponie zu fahren. Von den Dingen, die er dort findet, handelt sein Buch „Good Pop, Bad Pop“, das im Verlag Kiepenheuer und Witsch in der deutschen Übersetzung von Harriet Fricke und Ingo Herzke erschienen ist.

Die Dinge seines Lebens

Alles beginnt mit einer Kaugummi-Packung und einem Aufnäher des Wigan Casino, für das Jarvis Cocker eigentlich noch zu jung war. Warum er ihn besitzt? Das weiß er selber nicht mehr. Zum Wegschmeißen ist er natürlich trotzdem zu schade. Cocker wird ihn verschenken. An jemanden, der damit mehr anfangen kann. So geht das den Rest des Buches. Behalten oder weg damit? „Keep or Cob“ – um es im Dialekt seiner Heimat Sheffield auszudrücken.

Eine Kultur sagt durch ihre Wegwerfartikel mehr aus als über ihre vermeintlich verehrten Kunstwerke“ , so Cocker. Auf Cockers Dachboden hat sich vieles angesammelt. Ob Fotos, hässliche Klamotten, Zeichnungen, Marmitegläser oder Instrumente. Cocker bezeichnet sich selbst als „Änderungsverweigerer“. Raider heißt jetzt Twix? Für ihn ein Grauen. Das führt dazu, dass er zahllose ältere Designs behält. Zum Beispiel eine Flasche Rose’s Lime Juice. Oder eine alte Seifenpackung, die sogar einer der Hauptanstöße für dieses Buch gewesen sein soll, weil sie 25 Jahre auf seinem Dachboden herumgeisterte. Ohne jegliche Funktion. Einfach nur aus Veränderungsphobie.

Mit Pop(musik) die Welt verändern

Den Inhalt des Buches auf eine simple Bestandsaufnahme zu reduzieren, wäre aber viel zu kurz gegriffen. Anhand der gefundenen Gegenstände hangelt sich Cocker durch Anekdoten aus seinem Leben, die sich zu einer Autobiografie zusammen fügen. Dabei steht sein Verständnis von Pop immer wieder im Mittelpunkt der Ausführungen. „Dies wird nicht bloß der Katalog einer Haushaltsauflösung, sondern auch ein Buch über den kreativen Prozess – genauer gesagt meinen kreativen Prozess.

Jarvis Cocker liebt Popmusik. Sie ist die künstlerische Ausdrucksform seiner Wahl. Aber er betrachtet Musik nicht nur als Unterhaltung, sondern als Instrument, um die Welt zu verändern. Popmusik wiederum bedeutet für ihn die ultimative Graswurzeldemokratie. Alleine die Hörer*innen entscheiden, welche Platte/Single ein Hit wird oder eben nicht. Grad in Zeiten von Spotify-Algorithmen vielleicht keine ganz so zeitgemäße Auffassung mehr. In Cockers Glauben an den guten und den bösen Pop kommt immer wieder eine gewisse Naivität, aber auch Romantik zum Vorschein. Desillusion Fehlanzeige.

„Good Pop, Bad Pop“ ist – vermutlich durch den anekdotischen Charakter – kein Buch, das man in einem Guss wie einen spannenden Thriller oder Krimi wegsuchtet und gar nicht mehr aus der Hand legen mag. Aber die oft humorvollen Erinnerungen sorgen immer wieder dafür, das Buch in die Hand zu nehmen. Sprachlich auffällig ist die Verwendung des &-Zeichens statt dem Wort „und“ . Ein Beispielsatz gefällig? „Wir besaßen eine Akustikgitarre, die meine Mutter im Studium als Deko gekauft hatte, & ich starrte die Seiten des Liederbuches an & dann meine Finger & fühlte mich total hilflos.“ Sieht vielleicht etwas merkwürdig aus, tut dem Lesefluss aber keinen Abbruch.

Ein positiver Nebeneffekt der Lektüre: als jemand, der nie wirklich etwas mit Britpop anfangen konnte, keine Platte von Oasis oder Blur in seiner Sammlung stehen hat, kann ich mich mittlerweile für Pulp begeistern, die ich beim Lesen oft als Begleitmusik gehört habe. Wer weiß… vielleicht wandert demnächst auch eine von Cockers Platten in meine Sammlung. „Different Class“ ist nicht ohne Grund ein moderner Klassiker. Und auch seine Zusammenarbeit mit Chilly Gonzales auf dem Album „Room 29“ hat es mir durchaus angetan.

BUCHTIPP

Jarvis Cocker – Good Pop, Bad Pop

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