Dass eines der meist gehypten Alben des Jahres 2015 dem Jazz zuzuordnen sein würde, hätte wohl kaum jemand erwartet. Die Lobeshymnen für das Debüt von Kamasi Washington überschlagen sich buchstäblich. Der Rolling Stone spricht von einem „Magnus Opus of 21st-century jazz“, auf Spiegel Online ist vom „vielleicht relevantesten, radikalsten Album des Jahres“ die Rede. Normalerweise bin ich Hypes gegenüber eher skeptisch eingestellt. Doch „The Epic“ weiß selbst mich vollauf zu überzeugen, was auch, aber nicht nur, auf das tolle Vinyl Boxset zurückzuführen ist.
Vor der Veröffentlichung von „The Epic“ dürfte Kamasi Washington nur ausgewählten Kreisen ein Begriff gewesen sein. Dabei hat seine Biographie den ein oder anderen bemerkenswerten Eintrag vorzuweisen. Mit gerade einmal 18 Jahren gewann er den ersten Preis bei der prestigeträchtigen John Coltrane Music Competition im Rahmen des „John Coltrane International Jazz and Blues Festival“. Faszinierenderweise habe ich nicht eine Rezension über „The Epic“ gelesen, in welcher der Name des berühmten Jazz-Saxophonisten (und in erster Linie „A Love Supreme“) nicht als großer Einfluss erwähnt worden ist. In der Zwischenzeit arbeitete Kamasi Washington mit Künstlern wie Lauryn Hill, Snoop Dogg, Herbie Hancock oder zuletzt Flying Lotus zusammen, auf dessen Label Brainfeeder er schließlich gelandet ist. Dass er erst im Alter von 34 Jahren sein Debütalbum veröffentlicht, hat vermutlich u.a. damit zu tun, dass die Aufnahmen sich über mehr als drei Jahre hingezogen haben. Insgesamt sind in verschiedenen Sessions mehr als 40 Songs entstanden, Kamasi selbst spricht von „zwei Terabyte Material“ ! Letztlich sind „nur“ 17 Songs auf dem Album gelandet und trotzdem könnte der Name „The Epic“ kaum passender sein – und das nicht nur aufgrund der Albumlänge von 172 Minuten. Für das in drei Kapitel geteilte Epos hat Kamasi Washington ein 32-köpfiges Orchester plus 20-Personen-Chor verpflichtet.
Und wie klingt „The Epic“ nun auf Vinyl?
Um es kurz zu machen: Verdammt gut! Als ich das Album bereits vor mehreren Monaten vorbestellt habe, war ich zugegebenermaßen etwas skeptisch. Und mit dieser Meinung stand ich nicht alleine da! Die alles beherrschende Frage nach Bekanntgabe der Vinyl-Veröffentlichung lautete: Wie soll man 172 Minuten Musik auf 3LPs pressen ohne dass das komplett scheiße (sorry!) klingt?
Nun, Brainfeeder hat es geschafft. Zunächst einmal wurde dafür die Tracklist gehörig durcheinander gewürfelt, so dass die einzelnen Tracks sich von der Spielzeit her passend auf die insgesamt sechs Seiten verteilen. Und trotzdem ist die Spielzeit der einzelnen Seiten weit länger als auf herkömmlichen LPs:
Seite 1: 31:01 Minuten
Seite 2: 27:24 Minuten
Seite 3: 25:28 Minuten
Seite 4: 31:50 Minuten
Seite 5: 26:52 Minuten
Seite 6: 30:58 Minuten
Vor der Veröffentlichung gab es in Onlineforen häufig die Kritik, dass „The Epic“ nicht auf 4LPs veröffentlicht wird. 172 Minuten auf 3LPs – das kann einfach nicht gut klingen, so die vorherrschende Meinung. Tut es aber! Das liegt schlussendlich daran, dass sich Label und Künstler eine Menge Zeit gelassen haben, um den Vinyl Release so hochwertig wie möglich produzieren zu lassen. Immerhin steht die CD-Version bereits seit knapp 5 Monaten im Handel. „Die Soundqualität ist uns und Kamasi besonders wichtig, also mussten wir es richtig machen! Durch das Schneiden des Vinyls ist kein Qualitätsverlust vorhanden“, ist auf der Webseite des Labels zu lesen. Das Album wurde vom preisgekrönten Toningenieur Matt Colton in den Studios von Alchemy Mastering in London auf Vinyl geschnitten. Das Besondere dabei war das Schnittverfahren: Half Speed Vinyl Mastering nennt sich das Ganze. Es handelt sich hierbei um ein aufwändiges Schnittverfahren, bei dem – in Kürze zusammengefasst – der Original Master Lack mit halber Geschwindigkeit laufen gelassen wird. Dadurch wird für den Schnitt zwar doppelt so viel Zeit gebraucht (logisch!), aber bestimmte Details und Frequenzen der Aufnahmen sind weitaus besser hörbar.
So auch hier! Ich habe mir das Album in den vergangenen Monaten das ein oder andere Mal auf Streamingdiensten angehört – und jetzt eben auf Platte. Es mag sein, dass ich an dieser Stelle voreingenommen bin, aber in meinen Ohren klingt die Vinylversion satter und dynamischer. Die Streaming-Version erscheint dumpfer, bestimmte Sound-Fragemente, die ich vorher nicht wahrgenommen habe, sind plötzlich tatsächlich präsent und hörbar. Wirklich besser kann ich es leider nicht erläutern, bildet euch am Besten selbst ein Urteil im Plattenladen oder direkt daheim. Das Einzige, was den eigenen Ohren tatsächlich nicht entgeht, ist die Tatsache, dass die Vinylversion insgesamt recht leise ausfällt. Wenn ihr nach „The Epic“ ein anderes Album auflegt, solltet ihr den Lautstärkeregler wieder nach unten pegeln, um keinen Schrecken zu kriegen. Noch ein weiterer Tipp an dieser Stelle: Wenn ihr den Download-Code eingegeben habt, solltet ihr euch definitiv für die WAV-Version entscheiden, auch wenn diese knapp 1,6 GB groß ist. Diese klingt weitaus besser als die schlichte Mp3-Version. Wenngleich natürlich nicht so gut wie die Vinyl 😉
In einigen Onlineforen wie „Steve Hoffman Music Forums“ berichten Hörer übrigens von Oberflächengeräuschen bei gleich mehreren Exemplaren, insbesondere beim zweiten Song auf der ersten Seite namens „Isabelle“ (hier Soundsnippet anhören). Bei meiner Version tritt dieses Phänomen glücklicherweise nicht auf. Falls ihr euch die Vinyl besorgt habt, würde ich mich über Kommentare freuen, wie es bei euch so aussieht bzw. wie ihr mit dem Klang zufrieden seid.
Tolles Gesamtpaket zum fairen Preis!
Kurz noch ein paar Worte zum Boxset abseits des Klangs: Die drei LPs kommen in einem schweren Pappschuber daher. Die Platten sind in individuell gestaltete, 3mm dicke Sleeves gehüllt, die in den Farben rot, schwarz und gold gehalten sind. Hinzu kommen zwei 12“x12“ große Poster samt exklusivem Artwork von KC Woolf Haxton sowie Kalligrafie von Kenturah Davis. Einziger Kritikpunkt ist, dass die Maße des Schubers offensichtlich derart eng gewählt worden sind, dass das Herausziehen einer einzelnen LP sich als nicht ganz so einfach gestaltet. Insgesamt handelt es sich nichtsdestotrotz um ein herausragendes Paket. Wenn man dann auch noch bedenkt, dass hierfür ein Preis von knapp 30 Euro fällig wird, dürfte das Boxset für viele Plattenfans da draußen ein absolutes Muss sein.
Zum Abschluss noch eine weitere Anmerkung: In zahlreichen Artikeln und Blogbeiträgen werden die Live-Performances von Kamasi Washington plus Orchester als atemberaubend und unbedingt sehenswert bezeichnet. Im November kommt der Künstler für sechs Termine nach Deutschland (Hamburg, Ludwigshafen, Köln, München, Dortmund, Berlin). Wenn ich das richtig überblicke, sind für alle Termine noch Tickets verfügbar. Just sayin‘!