Die Aufregung war in der vergangenen Woche groß: Der ‚National Music Consumption Report‘ von Billboard kam zu dem Ergebnis, dass die Verkäufe von Vinyl Schallplatten gegenüber dem Vorjahr um knapp 33 Prozent eingebrochen seien: von 34,9 auf 23,3 Millionen verkaufte Exemplare. Ein immenser Rückgang. Und damit das mögliche Ende des in den letzten Jahren so häufig beschworenen Vinylbooms?
Die Suche nach der Ursache für diesen vermeintlichen Rückgang begann sofort. Schnell waren Kommentator*innen bei der Preisentwicklung angekommen. Immer weniger Menschen seien dazu bereit 40 Dollar oder mehr für ein einzelnes Album auf Vinyl auszugeben. Und ganz ehrlich: wirklich gewundert hätte mich eine solche Entwicklung nicht. 33 Prozent klingen schon nach einem arg hohen Rückgang, aber auch ich habe dieses Jahr bereits die ein oder andere Platte im Laden stehen lassen, weil mir das Preisschild schlicht zu hoch war.
Falsche Datengrundlage = kein Rückgang der Verkäufe
Letztlich war all die Aufregung umsonst, denn der Artikel von Billboard basierte auf einer falschen Interpretation der Daten. Ein Vertreter des Datenunternehmens Luminate, das die Zahlen für den Bericht von Billboard liefert, stellte kurz nach der Veröffentlichung klar, dass die Differenz zwischen den beiden Jahren auf eine kürzliche Änderung der Methodik zur Zählung der Vinylverkäufe unabhängiger Einzelhändler zurückzuführen sei. Aufgrund dieser Anpassung seien die Vinylverkäufe für 2024 nicht mit denen in den Vorjahren zu vergleichen. Tatsächlich seien die Verkäufe von Schallplatten in den USA im Vergleich zum Vorjahr gar um 6,2% gestiegen – allerdings ohne Berücksichtigung unabhängiger Einzelhandelsdaten aus beiden Jahren.
Heißt im Klartext: die Zahlen der vielen unabhängigen Plattenläden werden hier nicht berücksichtigt, sondern lediglich von Onlineshops oder Ketten wie Amazon, Wal Mart, Target oder Barnes & Noble, die mittlerweile allesamt ebenfalls Vinyl anbieten – teilweise sogar mit eigenen Exclusives. Wie groß der Anteil der unabhängigen Plattenläden ist, lässt sich schwer sagen, aber insbesondere durch den Record Store Day stellen die Verkäufe definitiv eine relevante Größe dar.
Platzt die Vinylblase bald?
Viel Aufregung um nichts also? Könnte man meinen, doch insgesamt entwickelt sich der Markt in eine bedrohliche Richtung. Leidtragende sind wie üblich die kleinen Künstler und Labels, die es oft schwer haben überhaupt zeitnah Kapazitäten im Presswerk zu ergattern, während die Majors jedes überflüssige Reissue zu horrenden Preisen auf farbiges Vinyl pressen lassen. Sorry, etwas Polemik muss sein. Vielleicht muss die Blase also einfach platzen, damit sich der Markt wieder etwas normalisiert. Die kleinen Plattenläden profitieren nicht in dem Maße von dem Boom, wie sie eigentlich sollten. Und besonders die bereits angesprochenen Preisentwicklung der vergangenen Jahre bringt für Vinylliebhaber immer negativere Auswirkungen mit sich
Als ich Anfang 2016 angefangen habe im Dodo Beach Plattenladen in Berlin zu arbeiten, waren Preise von 16,99€ für eine Einzelvinyl keine Seltenheit. In der Regel kosteten Neuheiten 18 oder 19,99€, Doppelvinyl maximal 24,99€. Heutzutage ist das kaum mehr vorstellbar. Selbst Einzelvinyl kostet manchmal mehr als 30€, selbst bei kleinen Labels, bei denen nicht der maximale Gewinn, sondern die Kostendeckung im Vordergrund steht. Für Doppelvinyl sind mittlerweile häufig um die 50€ hinzublättern. Nur logisch also, dass sich jeder Vinylfan genau überlegt, welche Platte er zu welchem Preis wirklich noch braucht. Vor wenigen Jahren konnte ich mir mit einem Budget von 100€ noch fünf oder mehr Platten leisten, jetzt sind es gefühlt drei. Alleine aufgrund der mathematischen Logik müsste die Anzahl der verkauften Exemplare also zurückgehen. Sofern das Vinylbudget nicht erhöht wird, was in einer Welt, in der eh alles teuer wird, ob Konzertkarten (um beim Thema Musik zu bleiben) oder der tägliche Einkauf im Supermarkt, für viele gar nicht machbar sein dürfte.
Ich werde jedenfalls bei gleichbleibender Entwicklung – auch wenn es of schwer fällt – zunehmend mehr Platten im Laden stehen lassen. Gespannt bin ich in diesem Zusammenhang auf die Verkaufszahlen für das komplette Jahr 2024 – besonders für den deutschen Markt.