Nachdem ich im ersten Teil der Serie „Vinyl Labels“ Sounds of Subterrania aus Hamburg vorgestellt habe, geht es diesmal nach Mülheim an der Ruhr. Was zunächst nach tristem Ruhrgebiet klingt, täuscht, denn die Stadt – zwischen Duisburg und Essen gelegen – hat eine erstaunlich spannende und lebendige Kulturszene zu bieten. Nachdem Dennis Dycks und Felix Möser hier jahrelang Konzerte und Ausstellungen in verschiedenen Strukturen organsisiert haben, war die Gründung eines Labels der logische nächste Schritt. In einem Interview erzählen sie von prekären Bedingungen, Leidenschaften, ihrer Abneigung für die CD als Medium und der Herkunft des Labelnamens.
Immerhin ist die Frage nahe liegend, warum das Label „Ana Ott“ heißt, wo eine solche Person dort doch gar nicht vorhanden ist. So ganz sicher waren sich die beiden Jungs zu Anfang nicht, der Labelname erschien nicht mehr wirklich erklärbar. Letztlich haben sie dann aber doch eine durchaus logische Begründung gefunden: „Vielleicht hat das englische Odd (wunderlich, sonderbar) eine Rolle gespielt, vielleicht hat uns auch nur das Schriftbild gefallen. Mittlerweile ist jedenfalls wie von selbst eine Dame aus den Collagen des Fotografen und Künstlers Peter Hübert, mit dem wir zusammenarbeiten, zu unserer Ana Ott geworden, die wir auf Aufklebern und bei Facebook verwenden. Wichtig war uns am Anfang jedenfalls das wir uns einen ganz persönlichen, eigenen Namen geben, der keine Beschreibung dessen enthält, was wir machen oder was das Label ist. Also zum Beispiel nicht „X Records“. Erfahrungsgemäß verbindet sich so ein Name dann schnell wie von selbst mit dem Projekt. Ana Ott ist jetzt einfach da und kann für alles stehen was wir unter diesem Namen noch machen werden. Zum Beispiel sind auch kleinere Printveröffentlichungen wie Zines oder Bildbände in Planung.“ Jetzt wo das geklärt ist, viel Spaß mit dem Rest des spannenden Interviews!
VFM: Zu Beginn mal ganz frech gefragt: Wie kommt man in Mülheim, das ja nicht unbedingt als Musikmetropole gilt, auf die Idee ein Label für Vinyl und Kassetten zu gründen?
Etwas anderes bleibt einem doch gar nicht übrig! Außerdem ist diese Provinz ‚Ruhrgebiet‘ zwar die pure Tristesse, profitiert aber immerhin von der Nähe zu Düsseldorf und Köln. Und nicht zuletzt findet auch hier eine feine Kunst- und Musikszene, wer danach sucht. Ana Ott hat zum Beispiel seine Atelier- und Büroräume im Makroscope, einem selbstverwalteten sozialen Zentrum ganz neuer Art, in dem es nämlich in erster Linie um Kunst und Experimente rund um das Thema Medien und Musik geht. Neben uns werkeln hier zum Beispiel die Leute von Shiny Toys, einem der wichtigsten internationalen Festivals für audiovisuelle Kunst. Außerdem gibt es ein Museum für Kunst und Technik der Kommunikationsmedien, indem die Geschichte der Kopie und der Elektrografie dokumentiert ist. So was bietet natürlich für ein Label, das Wert auf die Gestaltung der Releases legt, tolle Möglichkeiten des Austausches und der Zusammenarbeit. Und hier findet auch unsere eigene Konzertreihe statt.
VFM: Ich betreibe das Vinyl Fantasy Mag neben meinem eigentlichen 40 Stunden Job aus purer Leidenschaft. Wie muss ich mir das bei euch vorstellen? Leidenschaft nebenher oder könnt bzw. wollt ihr von dem Label in naher Zukunft euren Lebensunterhalt bestreiten?
Davon Leben? Völlig utopisch! Wir wären froh wenn sich das Label selbst tragen würde. Bis dahin musst Du deine Haut zu Brotjobs tragen, um den freiwilligen Job – der auch nicht weniger Zeit in Anspruch nimmt – finanzieren zu können. Aber das ist eben das, was wir machen wollen. Wichtig ist uns das unter den prekären Bedingungen nicht das Ergebnis leidet. Ich vermute das so die meisten Kleinstlabels an die Sache herangehen. Deshalb machen die Releases, die dabei herauskommen, ja auch meistens einen liebevolleren und stimmigeren Eindruck.
VFM: Nach welchen Kriterien wählt ihr die Künstler aus, die bei euch veröffentlicht werden?
Die Musik, und die Herangehensweise des Künstlers an seine Musik, muss uns gefallen. Das Genre spielt dabei keine Rolle. Uns interessiert ein experimenteller Umgang mit dem Ausdrucksmittel Sound. Unsere erste Veröffentlichung war ein Tape von Tesk, dass am ehesten dem Bereich Drone und Ambient zugeordnet werden kann, danach kam eine 12“ mit Blemishes, die freie Improvisation in einer Jazzbesetzung dokumentiert hat. Und am 12. April erscheint die Debut-EP von Morphious B auf MC, auf der er – von E-Funk und Boogie inspiriert – sehr synthielastige Sounds produziert. Die nächsten Projekte werden nicht weniger verschieden und nicht weniger experimentierfreudig sein (Anm. d. Autors: einen Überblick über sämtliche Releases findet ihr auf der Webseite des Labels).
Bisher haben wir fast nur mit Künstlern aus der Umgebung gearbeitet, was in der Produktion immense Vorteile hat. Weil wir großen Wert auf ein anspruchsvolles Artwork in einer schönen Verpackung legen, dass gut zum Künstler und seiner Musik passt, ist es einfach schön, wenn man sich kurzfristig treffen kann – zum Beispiel dann wenn ein neuer Entwurf von einem der Künstler vorliegt, mit denen wir zusammenarbeiten. Trotzdem laufen zur Zeit auch einige Projekte mit Musikern aus Großbritannien und den USA, mit denen wir einfach unbedingt etwas zusammen machen wollten und wo uns dann auch die Entfernung nicht abschrecken konnte. Einer davon ist Michael Valentine West, dessen Release auf Ana Ott noch für dieses Jahr geplant ist.
VFM: Habt ihr euch ein Ziel gesetzt, wie viele Platten ihr so im Jahr veröffentlichen wollt oder entscheidet ihr das spontan, wenn euch ein Künstler gefällt und ihr das Gefühl habt, ihn unbedingt veröffentlichen zu müssen?
Wir konzentrieren uns gerne auf ein Projekt und versuchen deshalb ein Release nach dem anderen zu realisieren. Natürlich gibt es Überschneidungen, aber schon aus finanziellen Gründen geht es letztlich immer nur Schritt für Schritt. So ergibt sich ganz von selbst ein Rhythmus, bei dem wahrscheinlich zwischen vier und sechs Releases – davon ungefähr zu gleichen Teilen Kassetten und Vinyl – im Jahr machbar sind.
VFM: Gregor Samsa hat mir im Interview erzählt, dass ihm den Aufwand für eine Platte wie die Monsters-Edition letztlich niemand bezahlen kann. Ihr sagt über euch selbst, dass ihr großen Wert auf “carefully designed releases” eurer Künstler legt. Kann dieser Aufwand überhaupt jemals angemessen vergütet werden?
Nach den Regeln von Wert, Ware und Geld: Nein. Es ist sehr schwer angemessene Preise zu finden, und wenn man ausrechnet, was vom Ladenpreis (und selbst vom Bandcamp-Preis) letztlich beim Label – oder noch schlimmer, beim Künstler – ankommt, kann man schon mal ein flaues Gefühl im Magen bekommen. Deshalb funktioniert es nur so: Wir machen es weil wir Freude am Entstehungsprozess haben und stolz auf die Ergebnisse sind.
VFM: Wie findet ihr eine Öffentlichkeit für das, was ihr tut? Wie erfahren (potentielle) Kunden von euren Releases?
Facebook, Blog, Bandcamp und Soundcloud sind garantiert unverzichtbar für kleine Labels. Wobei Facebook vermutlich mehr und mehr an Bedeutung verlieren wird; das ist ja bereits spürbar. Besonders wichtig, aber auch besonders schwierig zu bekommen: Presse. Denn es gibt hunderte gute Labels in jeder Sparte. Mehr und mehr rücken deshalb auch für kleine Labels und Musiker Konzerte und Touren in den Vordergrund. Wir versuchen mit Konzertreihen und einem jährlichen Festival selbst „tatsächlich stattzufinden“ und innerhalb der freien Kulturszene am Diskurs teilzunehmen. Für reine Weblabels oder Plattformen, die natürlich auch ihre Berechtigung haben, ist das sicherlich schwerer – und Klickzahlen und Likes können das nicht ersetzen.
VFM: In wenigen Wochen steigt mal wieder der Record Store Day. Beteiligt ihr euch als Label auf irgend eine Weise daran bzw. was haltet ihr überhaupt von der Institution als solcher?
Alles, was die Plattenläden unterstützt finde ich erst mal gut. Andererseits weiß ich nicht wie die das eigentlich finde. Da unsere Releases aber sowieso nur in ganz ausgewählten Stores – zum Beispiel im A-Musik (Anm.: Plattenladen in Köln) – stehen, macht es für uns wenig Sinn, unseren Kalender daran auszurichten. Ist das nicht sowieso eher ein Ding der Majors? Aber klar, wenn jetzt David Bowie und Daft Punk ihre Fans dazu bringen können in den Laden statt zu Amazon zu gehen, habe ich da natürlich nichts gegen.
Mit oder ohne solche Events glaube ich nicht dass das Vinyl verschwinden wird. Weder machen die Presswerke dicht, noch werden die großen Firmen das Format aufgeben (selbst ohne das Expedit geht die Welt nicht unter). Andererseits wird die Schallplatte auch bestimmt nie mehr einen zweistelligen Prozentwert der Musikverkäufe ausmachen. Ich beobachte aber immer wieder das es einerseits für Künstler besonders erstrebenswert ist, den eigenen Output auf Vinyl zu veröffentlichen, und andererseits für den Musikliebhaber wichtig ist wenigstens die wichtigsten Alben auf Vinyl im Regal zu haben. Dagegen habe ich kein Verständnis für Veröffentlichungen auf einem Wegwerfmedium wie der CD. Dann doch lieber eine liebevoll gestaltete Kassette, die ja auch eine gute und nicht zuletzt bezahlbare Möglichkeit ist, eine Veröffentlichung in den Händen zu halten.
VFM: Diese Frage muss ich zum Abschluss natürlich stellen: Sammelt ihr selber Platten Schrägstrich Kassetten und wenn ja, wie viele? Was ist euer Lieblingsalbum?
Wie viele es sind weiß ich nicht, aber es stehen auf jeden Fall mehr auf meiner Wunschliste, als ich mir in diesem Leben leisten können werde. Lieblingsalben wechseln häufig, aber es gibt ein paar Konstante. Vor ein paar Wochen musste ich mir zum Beispiel wegen des vielen Anhörens ein zusätzliches Exemplar der Spirit of Eden kaufen. Ich glaube eine der spannendsten Entdeckungen in diesem Jahr werden Ωracles sein (deren Drummer übrigens bei Blemishes spielt). Googlet das mal!
P.S. Ich hab mir die Berliner Band, die sich erst im vergangenen Jahr gegründet hat und seit neuestem beim Hamburger Label Clouds Hill unter Vertrag steht, angehört und konnte mich Quervergleichen mit Tame Impala nicht erwehren. Aber hört euch die erste Single bei Soundcloud am besten selbst an. Und direkt danach oder davor besucht ihr die Seite von Ana Ott und hört euch durch den bislang zwar übersichtlichen, aber durchaus faszinierenden Release-Katalog.