Discogs ist bekanntlich DIE Datenbank für Plattensammler. Wer wissen möchte, welche Pressung er da eigentlich genau in den Händen hält, ist hier genau richtig. Doch das ist nicht alles: Über den angeschlossenen Marketplace werden tagtäglich tausende Platten in aller Welt verkauft. Manchmal regt man sich über die Fantasiepreise Marke „Vielleicht findet sich ja ein Dummer“ auf, doch das ein oder andere Schnäppchen ist dort immer mal wieder drin. Jüngst wurde nun der bislang höchste Preis für ein verkauftes Album erzielt.
Normalerweise hätte ich erwartet, dass es sich hierbei um einen Klassiker handelt. Oder um eine seltene Pressung aus den Bereichen Krautrock oder Progressive Rock, für die Liebhaber gerne einmal hohe Summen auf den Tisch legen. Dass es sich bei der bislang teuersten Platte um ein Album einer Band handelt, die dem Hardcore- und Straight Edge-Genre zuzuordnen ist, hat mich ehrlich gesagt überrascht.
Neuer Rekordhalter ist das Album „Chung King Can Suck It“ der New Yorker Band Judge, das im Jahre 1989 veröffentlicht wurde. Wenn eine solche Summe für ein Album bezahlt wird, liegt es nahe, dass es dazu eine besondere Hintergrundgeschichte gibt. Und die gibt es tatsächlich! Um es kurz zusammenzufassen (für die ausführlichere Version schaut einfach bei The Vinyl Factory vorbei): Mit ihrer ersten EP hatte sich die Band in der lebendigen Hardcore-Szene New York Citys Ende der 1980er einen derartigen Ruf erspielt, dass das Debütalbum mit Spannung erwartet wurde. Ein technisch nicht besonders gut ausgestattetes Studio und ein Toningenieur, der mit dem Sound der Jungs nicht viel anfangen konnte, sorgten dafür, dass die Band mit den Aufnahmen komplett unzufrieden war. Doch für eine erneute Aufnahmesession war es zu spät, da Jordan Cooper (seines Zeichens Chef von Revelation Records) bereits für das Mastering und den Lackschnitt der Vinyl bezahlt hatte.
Ein Rückzug war finanziell schlicht nicht machbar. Also wurden 100 Kopien auf weißes Vinyl gepresst und an alle Fans geschickt, die bereits vorbestellt hatten. Jede Kopie erhielt eine gestempelte Nummer. Die zehn Platten, die quasi als Überschuss gepresst worden sind, erhielten die Nummer 110.
Im selben Jahr wurde tatsächlich noch eine „vernünftige“ Version des Albums veröffentlicht, das den Namen „Bringin´ It Down“ trägt. Doch für den wahren Sammler ist die missglückte Version von „Chung King Can Suck“ natürlich viel interessanter. Im vergangenen Jahr ist bei eBay ein Exemplar für ebenfalls mehr als 6000 US-Dollar verkauft worden.
Tausche Plattensammlung gegen Familie
Die Frage, die mir bei solchen Summen stets durch den Kopf geht, ist: Wer zahlt einen solchen Preis? Klar gibt es Platten, für die in der Vergangenheit weitaus mehr gezahlt worden ist, aber wir reden hier vom Hardcore-Genre. Auf der Facebook-Seite der Band spricht ein Fan eben jenen Aspekt an: „Normalerweise bist du als Mitglied der Hardcore-Szene immer pleite!“ Handelt es sich hier um in die Jahre gekommene Familienväter, die – im gutbezahlten bürgerlichen Dasein angekommen – ein Stück ihrer Jugend und Vergangenheit zurückkaufen möchten?
Bislang war ich der Ansicht, dass es meist andersherum läuft. Ich erinnere mich an eine Szene, als ich bei einem eBay-Verkäufer frisch erstandene Platten abholen wollte – ein Großteil ebenfalls aus der (deutschen) Hardcore-Szene: Yage, Engrave, Treadmill, Killed By Malaise oder auch The Robocop Kraus. Als er die Tür öffnete schlug mir Babygeschrei entgegen. Und der traurige Blick des Verkäufers. „Tausche Plattensammlung gegen Familie“ schien sein Gesichtsausdruck sagen zu wollen. Als ich an jenem Abend nach Hause gekommen bin, habe ich meiner Freundin erst einmal mitgeteilt, dass ich niemals meine Plattensammlung verticken werde. Komme, was da wolle. Lieber suche ich mir einen zweiten Job! 🙂
Nun aber genug der willkürlichen Mutmaßungen: Faszinierenderweise bin ich in der letzten Woche in Berlin an einem Plakat vorbeigekommen, auf dem ein Konzert von einer Band namens Judge angekündigt wurde. Zuhause habe ich erst einmal gecheckt, ob sich in der Zwischenzeit nicht eine hippe Indieband den selben Namen zugelegt hat. Aber nein, tatsächlich spielt die mittlerweile zur Hardcore-Legende aufgestiegene Band im Herbst zwei Termine in Deutschland: am 12. August im Lido in Berlin und am 13. August im Underground in Köln. Vielleicht wird dort auch die ein oder andere Vinyl der Band angeboten – zu hoffentlich günstigeren Preisen… Und wem die Band bislang so absolut gar nichts sagt, bitte schön: