Die Türkei habe ich bislang nicht unbedingt mit Schallplatten in Verbindung gebracht. Im allgemeinen nicht mit Musik. Wenn mich jemand vor meiner Reise nach Istanbul gefragt hätte, wäre mir vermutlich auf Anhieb kein Musiker aus der Türkei eingefallen. Außer vielleicht Tarkan, der es mit „Kiss Kiss“ aus unerfindlichen Gründen zu Weltruhm gebracht hat, was auch mir nicht verborgen geblieben ist. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich damit eine durchaus spannende Musikszene ignoriert habe, die auf teils spannende Art und Weise westliche Elemente mit der klassischen einheimischen Musik verbindet. Natürlich habe ich in Istanbul auch dem ein oder anderen Plattenladen einen Besuch abgestattet. Ein Reisebericht.
Die erste Begegnung mit Schallplatten hatte ich in Istanbul nicht etwa in einem der Läden, die ich mir vorher online heraus gesucht hatte, sondern auf der Istiklal Caddesi. Das ist der Name der vielleicht bekanntesten Shoppingmeile der türkischen Hauptstadt, die vom Galata-Turm zum berühmten Taksim-Platz führt und auf der sich einheimische Geschäfte neben die altbekannten Ketten wie Mango, Zara, Starbucks oder natürlich McDonalds und Burger King reihen. Ein nicht unbedingt typischer Ort für das gute alte Vinyl.
Hier fanden sich jedenfalls zwei Läden, die Bücher, Videospiele, CDs und eben auch ein paar Schallplatten verkauften. Den Namen des einen Ladens habe ich zugegebenermaßen bereits wieder vergessen, da sich das Angebot nicht großartig von dem in hiesigen Elektronikmarkt-Ketten unterscheidet. In der Filiale des „Mephisto Bookstore“ wenige Meter weiter gab es überwiegend aktuelle Reissues von Led Zeppelin oder Bruce Springsteen zu kaufen, bei denen der Preis irgendwo zwischen 69 und 92 Türkischen Lira pendelte. Das entspricht umgerechnet einer Summe zwischen 20 und 27 Euro. Für ein Reissue von „Exile On Main Street“ sollte man aus unerfindlichen Gründen sogar mehr als 130 TL (knapp 38 Euro) hinlegen.
Ich muss zugeben, dass ich ob dieser Preise zunächst etwas ernüchtert war, denn immerhin bewegten sich diese auf deutschem Niveau – manchmal sogar etwas darüber. Diese Beobachtung deckte sich jedoch mit der Erfahrung, die meine Freundin und ich während unseres gesamten Istanbul-Trips machten: Dinge des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel, Fahrkarten und vor allem Wasser sind hier wahnsinnig günstig, während sich die Preise für Konsumprodukte – seien es Kleidung, Schuhe, Elektrogeräte oder eben neuwertige Schallplatten – auf einem ähnlichen Niveau wie in Deutschland bewegen. Außer natürlich man begibt sich auf einheimische Märkte und Basare abseits der gewöhnlichen Touristenpfade, auf dem sich das Angebot aber in der Regel auf Obst, Gemüse und Kleidung beschränkt. Nach dem Besuch der Istiklal war ich sehr gespannt darauf, wie die Preise in dieser Stadt für gebrauchtes Vinyl aussehen und ob hier wohl das ein oder andere Schnäppchen drin sein würde.
Von der Musikstraße ins Hipster-Einzugsgebiet
Lale Plak:
Der erste Plattenladen auf meiner Liste war Lale Plak in der Galip Dede Caddesi im Stadtteil Beyoglu. Bei Twitter hatte mir ein Nutzer zu einem Besuch der „Musikstraße“ geraten. Hier reiht sich ein Laden an den anderen, in dem verschiedenste Musikinstrumente, Verstärker oder sonstiges Soundequipment verkauft werden.
Das Lale Plak ist direkt am Anfang der Straße gelegen, die in die bereits erwähnte Istiklal Caddesi mündet. Der Laden besteht aus nur einem Raum (wie im übrigen alle anderen Plattenläden auch, die ich in Istanbul besucht habe). In den Regalen finden sich auffällige viele Jazz-Platten von Künstlern wie Chet Baker oder Bill Evans. Dazu finden sich auch ein paar neuere Platten, insgesamt ist die Auswahl recht überschaubar, was allerdings nicht immer ein Nachteil sein muss, wenn man sich denn auf hochwertige LPs in gutem Zustand konzentriert. Und das ist hier definitiv der Fall!
Eigentlich findet sich in der Galip Dede Caddesi noch ein zweiter Plattenladen, der allerdings leider zum Zeitpunkt unseres Besuchs nicht geöffnet hatte. Vielleicht war es einfach noch zu früh am Tag, denn das Leben geht in Istanbul an manchen Orten doch etwas später los, wie wir fest stellen mussten.
Analog Kültür:
Das war aber nicht weiter schlimm, denn nicht weit entfernt fand sich der nächste Anlaufpunkt. Bei Analog Kültür handelt es sich um einen relativ neuen Plattenladen, der erst 2014 am Record Store Day eröffnet worden ist. Die recht moderne Ausprägung des Ladens erkennt man daran, dass in die Ladentheke ein Mischpult eingelassen wurde, das von zwei Technics 1210ern eingerahmt wird. Ladenpersonal und externe DJs sorgen hier wohl häufiger mal mit schicken Playlisten für die musikalische Untermalung. Immerhin ist Ladeninhaber Kaan Düzürat als recht bekannter DJ unterwegs und hat u.a. für die berühmt-berüchtigte Boiler Room-Reihe aufgelegt.
Die Auswahl ist zwar auch hier insgesamt recht überschaubar, dennoch nimmt einen die recht intime Atmosphäre des Ladens samt dazugehöriger Katze gefangen und es gilt zahlreiche internationale und türkische Klassiker zu entdecken. Ein Großteil der Platten ist gebraucht, es finden sich aber auch neue Platten sowie Hi-Fi- und Audio-Equipment und Musikinstrumente.
Kontra Plak:
Nach einem leckeren Türkischen Kaffee, den ich in Istanbul wirklich lieben gelernt habe, ging es weiter ins Kontra Plak, das ebenfalls in Beyoglu beiheimatet ist. Bei meiner vorherigen Reiserecherche wurde dieses Beyoglu in Onlinemagazinen und Blogbeiträgen immer wieder als DAS Szeneviertel der türkischen Hauptstadt bezeichnet, das westlichen Städten wie Berlin oder London an Hipness in nichts nachsteht. Und in Teilen kann ich dem nur zustimmen, denn hier gibt es zahlreiche Cafés, die mit Wi-Fi-Zugang werben und in denen die Gäste ebenso wie in Berlin vor ihren MacBooks sitzen, oder moderne Co-Working Spaces für die Digital Natives.
Kontra Plak ist der größte Plattenladen mit dem umfangreichsten Sortiment, dem ich in Istanbul einen Besuch abgestattet habe. Zwar handelt es sich auch hier lediglich um einen einzelnen Raum, doch dieser öffnet sich nach hinten heraus, so dass neben zahlreichen Plattenregalen auch ein Sofa zum Entspannen Platz findet. Der Laden verfügt über ein gut sortiertes Angebot. Angefangen bei den üblichen Klassikern gibt es hier ziemlich viele LPs aus den Bereichen Jazz, Electro/Ambient, aber auch Krautrock von Bands wie Can und Jane. An der Wand hängen signierte Platten der aktuellen Alben von Mogwai oder Body/Head und auch Hinweise auf den diesjährigen Record Store Day finden sich. Die Preise bewegen sich auf ungefähr dem gleichen Niveau wie hierzulande. Gebrauchte LPs gibt es ab 35 TL (10 Euro), neue Alben kosten meist so zwischen 60 und 90 TL (18 bis 26 Euro).
Monoplak:
Nahe dem Kontra Plak findet sich in einer kleinen Gasse ein weiterer gut sortierter Plattenladen, der vorher gar nicht auf meiner Liste stand und den ich nur durch Zufall entdeckt habe. Eine glückliche Fügung, könnte man meinen, denn das Monoplak ist ein toller Laden, der mir sehr gut gefallen hat. Der Laden bietet ebenfalls nicht allzu viel Platz, insgesamt finden die Platten auf einem Raum von vielleicht 15 Quadratmeter Größe einen Unterschlupf. Dieser ist allerdings sehr modern eingerichtet samt einem gehobenem Sortiment, in dem insbesondere Freunde des Jazz fündig werden dürften: Ob Latin Jazz, Jazz Funk oder Progressive – der Laden eignet sich hervorragend zum Stöbern. Wenngleich Schnäppchen hier eher die Ausnahme sein dürften.
Velvet Indieground Records:
Vielleicht einhundert Meter die Straße runter findet sich ein zweiter Plattenladen, der durchaus einen massiven Gegensatz zum eher gediegenen Ambiente des Monoplak darstellt. Im Velvet Indieground werden wir schon auf der Straße von den lauten Klängen von Weezers „Troublemaker“ begrüßt. Der Laden würde am ehesten in die Hipster-Einzugsgebiete von Neukölln oder Prenzlberg passen. Abgesehen von einer Kiste mit Second Hand-Platten gibts hier größtenteils aktuelle Musik aus dem Indie-Bereich. Den aktuellen Neuzugängen ist sogar ein Zettel beigefügt, auf denen die Bewertungen von Musikmagazinen wie Rolling Stone oder Pitchfork aufgelistet werden. Die Preise bewegen sich auch hier auf einem ähnlichen Niveau wie in vergleichbaren Plattenläden in Deutschland.
Crossing The Bridge – ab auf die asiatische Seite
Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass wir nach dem Übersetzen mit der Fähre auf die asiatische Seite zunächst etwas überrascht waren. Während bei mir der ein oder andere Plattenladen auf der Liste stand, hatte sich meine Freundin ein paar Klamottenläden in Moda notiert. Wir waren in unserer westlich geprägten Naivität eigentlich davon ausgegangen, dass wir in Kadiköy einen eher konservativen Teil Istanbuls betreten würden – ähnlich dem Stadtteil Fatih, in dem wir auf der europäischen Seite über AirBnB ein wirklich schönes Apartment samt Dachterrasse gefunden hatten. Aber Pustekuchen! Rund um die Moda Caddesi erstreckten sich Straßenzüge, die dem In-Viertel in Beyoglu in nichts nachstanden und durch die sich neben vielen Touristen vor allem gut gekleidete junge Menschen schoben, die sich eher am Kleidungs- und Lebensstil der westlichen Metropolen zu orientieren schienen. Nachdem ich einen weiteren leckeren Türkischen Kaffee im „Dreamers Café“ genossen habe, das aus unerfindlichen Gründen über eine komplette Regalwand voll mit Star Wars-Actionfiguren verfügte, stand der erste Plattenladen auf dem Reiseplan.
Vintage Records:
Hier ist der Name Programm. Neben Schallplatten finden sich zahlreiche Kassetten (überwiegend mit türkischen Künstlern), aber auch alte Abspielgeräte oder Röhrenradios. Lustigerweise scheint es in dem Laden keine bestimmt Ordnung zu geben, die Platten scheinen von links nach rechts kistenübergreifend nach dem Alphabet sortiert zu sein. Bei der recht überschaubaren Auswahl an LPs, die allesamt Second Hand sind, stellt das aber auch kein Problem dar. Neben den üblichen Vertretern des Classic Rock findet sich hier viel türkischer Rock und Pop aus den 60ern und 70ern. Die Preise gehen bei 30 TL los, es gibt aber auch einige Ausreißer nach oben, z.B. ein Exemplar von „Tago Mago“ oder von „Use Your Illusion I“ für jeweils 185 TL (54 Euro).
RPM Music:
Schräg gegenüber befindet sich ein weiterer Plattenladen, an dessen Schaufenster groß ein Aufkleber mit der Aufschriftt „Official Ortofon Dealer“ prangt. Im Gegensatz zu Vintage Records ist dieser sehr modern mit stilvollen Holzmöbeln ausgestattet. Das Sortiment ist weniger modern und umfasst massenweise Klassiker von Santana, The Police oder Barclay James Harvest, aber auch erneut sehr viel Jazz. Die Preise bewegen sich bei wenigen Ausnahmen zwischen 30 und 60 TL.
Direkt nebenan haben wir durch Zufall einen kleinen Antiquitätenladen entdeckt, in dem drei ältere Herren bei einem Glas Tee zusammensaßen – und das neben einer Kiste mit Schallplatten, die alte türkische Volksmusik enthielt. Nur im Schaufenster thronte eine Platte, die dort irgendwie etwas fehl am Platz wirkte! 🙂
Eigentlich wollte ich auf der asiatischen Seite noch einen dritten Laden besuchen (Zihni Müzik), der laut eines Onlineguides mit knapp neuntausend LPs eine der größten Sammlungen in Istanbul umfassen soll, doch dieser war einfach nicht aufzufinden. Ob er einer der vielen neuen Bars zum Opfer gefallen ist (Gentrifizierung ist auch in der türkischen Hauptstadt längst kein Fremdwort mehr) oder schlicht umgezogen ist, wird vorerst ein Geheimnis bleiben. Falls jemand von euch dem Laden zufällig mal einen Besuch abgestattet hat, könnt ihr eure Eindrücke gerne in den Kommentaren schildern.
Wenige Schnäppchen, ziemlich viel Jazz
Ob nun als Plattensammler oder nicht, Istanbul ist definitiv eine Reise wert. Ich habe bislang keine Stadt besucht, die derart viele verschiedene Kulturen und Facetten zu bieten hat. Manchmal reichte es aus, um eine Straßenecke zu biegen und sich wie in einer komplett anderen Welt zu fühlen. Es gibt Teile in Beyoglu oder Kadiköy, die sich tatsächlich nicht von westlichen Metropolen wie Berlin oder London unterscheiden. Touristen trinken Bier in Bars, stylische Menschen tragen Tattoos zur Schau und junge Hipster tragen schicke Klamotten und Urban Ears auf dem Kopf. Auf der anderen Seite gibt es sehr konservative Straßenzüge, in denen fast nur Männer und Kinder auf der Straße zu sehen sind (und Frauen wenn überhaupt verschleiert), in denen sich meine Freundin mit ihrem westlichen Klamottenstil oftmals etwas unwohl fühlte. Insgesamt muss man jedoch fest halten, dass die Menschen – auch wenn sie vielleicht nicht immer verstanden haben, was wir von ihnen wollten – stets äußerst freundlich und sehr bemüht waren, dass wir uns wohl fühlen.
Auch der Besuch der verschiedenen Plattenläden war eine spannende Erfahrung. Jeder der insgesamt neun Läden hatte seinen eigenen Charme und keiner glich dem anderen (von den beiden Filialen auf der Istiklal Caddesi einmal abgesehen). Gemeinsamkeiten gab es natürlich auch: Zunächst einmal scheinen die Türken ein großes Faible für Jazz zu haben. Abgesehen vom Velvet Indieground, der sich ausschließlich auf aktuelle moderne Musik konzentriert, hatte jeder Laden ein nicht unwesentliches Angebot an Jazzplatten zu bieten. Neben den üblichen Rockklassikern stellte Jazz das mit Abstand am meisten vertretene Genre dar. Festzuhalten bleibt aber auch, dass Istanbul nicht wirklich etwas für Vinyl-Schnäppchenjäger ist. Die Preise für neue Platten bewegen sich auf deutschem Niveau und auch die Preise für Second Hand-Platten unterscheiden sich nicht groß von hiesigen Flohmärkten und Plattenbörsen.
Lohnend ist ein Besuch aber in jedem Fall, wenn man sich näher mit der türkischen Musikszene auseinander setzen möchte. Denn in einem Großteil der Läden gibt es viele Platten von türkischen Künstlern – angefangen von den 60er Jahren bis heute. Diese Platten gehören in Deutschland in der Regel eher weniger zum Inventar von Plattenbörsen oder Flohmarktständen. Ich habe jedenfalls ein paar spannende türkische Künstler kennen und mittlerweile auch schätzen gelernt. Auffällig ist der psychedelische Einfluss auf die türkische Musik. In den Istanbuler Plattenkisten und -regalen ist der 2004 verstorbene Cem Karaca, der ein Vertreter der Anadolu-Rock-Bewegung war und zwischen 1979 und 1987 im Exil in Deutschland lebte, der definitiv am häufigsten vertretene Künstler. Mit seiner doch recht umfangreichen Diskografie solltet ihr euch durchaus mal näher auseinander setzen. Ein weiterer Anspieltipp sind Baba Zula, deren aktuelles Album „34 Oto Sanyani“ im vergangenen Jahr auf Vinyl erschienen ist und auch in Deutschland im gut sortierten Plattenladen erhältlich sein sollte.
Natürlich hat die türkische Musikszene noch weitere spannende Vertreter zu bieten. Wenn ihr es demnächst nicht selber nach Istanbul schaffen solltet, möchte ich euch zum Ende meines kleinen Reiseberichts einen Filmtipp an die Hand geben. Wer sich näher mit dem „Sound of Istanbul“ beschäftigen möchte, sollte sich den Dokumentarfilm Crossing The Bridge vom deutsch-türkischen Regisseur Fatih Akin anschauen. Definitiv empfehlenswert! Den Soundtrack gibts übrigens auch auf Doppelvinyl, nur leider ist die günstigste Variante bei Discogs momentan für 175 Euro zu haben!