Am Samstag war es mal wieder so weit. Plattenläden in der ganzen Republik luden zum Record Store Day ein. Die mediale Aufmerksamkeit war groß wie nie, die Schlangen vor den Läden bereits frühmorgens lang. Auch wenn ich als Plattensammler und Vinylliebhaber im Grundsatz jede Veranstaltung gut finde, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Institution Plattenladen zu stärken, fällt mein Fazit äußerst nüchtern aus. Warum das so ist, könnt ihr meinem offenen Brief an den Record Store Day entnehmen:
Lieber Record Store Day,
als ich Samstag Vormittag aufgewacht bin, war ich ziemlich aufgeregt. In der Nacht zuvor habe ich kaum ein Auge zugetan. Ich fühlte mich wie ein Kind in der Nacht vor Weihnachten. Die Vorfreude, dich endlich wiederzusehen, war riesig. Immerhin ist unser letztes Treffen schon ein Jahr her. Viel zu lange, wie ich finde, ich hatte ja schon fast vergessen, wie du eigentlich aussiehst.
Die Vielzahl an Nebenbuhlern, die sich bereits um acht Uhr morgens vorm Dodo Beach in Schöneberg versammelte, zeigte mir, dass ich mit diesem Gefühl nicht alleine dastehe. Eine solche Schlange sieht man in dieser Stadt sonst nur vorm Berghain oder Mustafas Gemüsekebab am Mehringdamm. Ich muss zugeben, dass ich ein Gefühl der Eifersucht nicht unterdrücken konnte. Die Zuneigung der anderen ist doch eh nur oberflächlich. 364 Tage im Jahr treiben die sich in Onlinekaufhäusern rum und folgen anonymen „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch…“-Empfehlungen. Was wollen die alle hier? Aber genug von eifersüchtelnden Gemeinheiten.
Ich gönne dir all die Zuneigung zutiefst. Auch die mediale Aufmerksamkeit. In den letzten Tagen hatte es den Anschein, dass kaum ein Online-Magazin oder eine Zeitung nicht über dich berichtet hat – von der taz und das Hamburger Abendblatt über den Deutschlandfunk und RBB online bis hin zum Alt-Neuöttinger Anzeiger. Record Store Day Superstar!
Warum ich trotzdem enttäuscht bin
Du weißt, dass ich mit deinem großen Bruder Valentinstag nie wirklich zurecht gekommen bin. Dass geliebte Menschen sich an diesem Tag glücklich machen sollen, war stets nur Vorwand. Das habe ich früh durchschaut. Aber wie ist es um deinen eigenen Anspruch bestellt, die „einzigartige Kultur des Plattenladens und die besondere Rolle der unabhängigen Läden in ihren Gemeinschaften zu feiern„, lieber Record Store Day?
Deine Preispolitik in diesem Jahr lässt jedenfalls nichts Gutes erahnen. Zweistellige Beträge für Seven Inches mit höchstens zwei Songs, die bereits in anderer Form auf Vinyl gepresst worden sind und massenhaft lieblose Reissues, die ich auch in gutem Zustand für weit weniger Geld auf den hiesigen Flohmärkten erwerben kann – das kann nicht dein Anspruch sein! Ich möchte an dieser Stelle nicht ausschweifend auf die Rolle der Major Labels eingehen. Es scheint aber offensichtlich, dass es dir schwer fällt, sich den Verlockungen des großen Geldes zu entziehen. In einem Artikel für The Quietus wird Rob Sevier von The Numero Group mit den Worten zitiert: „We’re not upset with major labels for being major labels. What I’m not crazy about are the literally hundreds of pieces of shit being shoved into the marketplace on this day; products, for the most part, that no human needs to own, ever.“ Und dieses Jahr war eine ganze Menge (überteuerter) Schwachsinn mit dabei! Warum ich trotzdem einen dreistelligen Betrag ausgegeben habe? Weil ich süchtig bin. Und das weißt du ganz genau. Ich fühle mich so … ausgenutzt!
Warum ich so richtig sauer bin
Diese Enttäuschung jedoch kann ich problemlos verkraften, weil ich und jeder andere Plattensammler selber entscheiden kann, ob er eine Vinyl kauft und wie viel er dafür ausgibt. Warum lässt du es aber zu, dass Liebhaber für Platten, die mit deinem Logo geschmückt werden, tiefer in die Tasche greifen müssen. Ein Beispiel gefällig? Im Dodo Beach gab es das Reissue des weißen Tocotronic-Albums auf Doppelvinyl für 25 Euro zu kaufen, im Leila M in Mitte für 29 Euro. Hätte meine Freundin mir das Exemplar nicht aus der Hand genommen, hätte ich mir die Platte gekauft, denn ich mag Band und Album sehr gerne und besitze es noch nicht. Wenige Stunden später wurde mir dann erzählt, dass das Album Anfang Mai regulär in den Handel kommt. Und tatsächlich: Auf der Webseite der Band kann ich das Album bereits jetzt in genau der selben Variante auf weißem Doppelvinyl vorbestellen. Zu einem Preis von 20 Euro! Tut mir leid, lieber Record Store Day, aber das ist schlicht Verarsche am Kunden. Punkt!
Es mag sein, dass du dafür nicht die Hauptverantwortung trägst, sondern das jeweilige Label. Warum aber lässt du es zu, dass teilnehmende Plattenläden am nächsten Tag die Releases für das doppelt oder dreifache bei eBay einstellen? Ein Plattenladen aus Berlin, dessen Namen ich an dieser Stelle nicht nennen möchte, bietet die Joy Division EP aktuell für 35 Euro an oder das „Hey Joe“-Cover von Charlotte Gainsbourg auf 7“ für 50 Euro. Das ist schlicht skandalös. Einen solchen Plattenladen solltest du für das kommende Jahr mit Liebesentzug bestrafen, indem du ihm nicht länger deine Releases zukommen lässt.
Auch auf einen deiner biologischen Väter bin ich momentan nicht gut zu sprechen. Auf dem Flyer zu einer vor mir organisierten Veranstaltung am Record Store Day-Abend wollte ich dein Logo abdrucken. Die Verwendung wurde mir von Carrie Colliton in einer E-Mail höchstselbst untersagt: „We really, really appreciate the coverage of Record Store Day and you helping us spread the word. Unfortunately, we’ve had to be pretty firm in our policy regarding the logo.“ Verstehe ich nicht so was, ganz ehrlich.
Auf Wiedersehen!
Oscar Wilde hat einmal geschrieben, dass ein Idealist immer enttäuscht sein wird. Auch wenn es ein ganzes Jahr dauert, bis ich dich wieder sehen kann – mein Vermissen hält sich in Grenzen. Du musst dich schon ordentlich ins Zeug legen, wenn du meine Zuneigung wieder gewinnen möchtest. Aber dazu hast du ja mehr als genügend Zeit.
Keine Angst, ich werde dir auch im kommenden Jahr wieder einen Besuch abstatten. Weil die Atmosphäre, die du mit Instore-Gigs, Autogrammstunden und Co. entfachst, schon etwas Besonderes ist. Das möchte ich gar nicht bezweifeln. Bei einem Angebot wie in diesem Jahr werde ich meinen Geldbeutel 2015 weniger belasten, so viel ist sicher. Denn wenn ich genauer auf meine Ausbeute von Samstag zurück blicke, fällt mir auf, dass ich kaum etwas davon wirklich benötige. Und das ist so ziemlich der traurigste Aspekt der Entwicklung, die du in der jüngsten Vergangenheit durchlaufen hast, lieber Record Store Day!
Ich hoffe, dass du dir meine Wort zu Herzen nimmst und verbleibe mit besten Vinylgrüßen,
ein passionierter Plattensammler.
P.S. Ach, könntest du mir vielleicht bitte mitteilen, was an dem Gerücht dran ist, dass Plattenläden ab 2015 Geld zahlen sollen, um deine Releases anbieten zu dürfen. Das wäre herz allerliebst, vielen Dank!