In der vergangenen Woche hat mich eine Schlagzeile in meiner Facebook-Timeline aufgeschreckt. Und anscheinend nicht nur mich, denn urplötzlich folgten zahlreiche Kommentare und Blogartikel zu ein und demselben Thema. Ausgangspunkt war ein Artikel von Buzzfeed. Dieser Artikel behauptet doch tatsächlich, dass Urban Outfitters weltweit die meisten Schallplatten verkauft! Ja, genau jener Laden, der die hippe Jugend in den Großstädten dieser Welt mit allen überlebensnotwendigen Dingen wie Jeanshemden, Kopfhörern oder Sonnenbrillen versorgt. Doch kann das wirklich wahr sein?
Bereits als die Meldung in meiner Timeline auftauchte, schlichen sich grundlegende Zweifel in meine Gedanken. Urban Outfitters – jetzt ernsthaft? Vermutlich bin ich nicht der Einzige, der in diesem Zusammenhang auf Amazon getippt hätte, deren Jahresbilanz 2013 immerhin einen Anstieg der Vinylverkaufszahlen von satten 745% gegenüber 2008 belegte! Grundlage für den Buzzfeed-Artikel ist eine Behauptung von Calvin Hollinger, dem Chief Administrative Officer von Urban Outfitters. “Music is very, very important to the Urban customer… in fact, we are the world’s number one vinyl seller,” so Hollinger. Zahlen nennt er anscheinend keine.
Viel Aufregung um nichts
Einmal abgesehen davon, dass eine solche Behauptung jeder aufstellen kann, ist sie bei näherem Hinsehen gar nicht einmal so abwegig. Urban Outfitters wendet sich an eine hippe, junge Kundschaft in Großstädten. Auf den ersten Blick mag es vielleicht merkwürdig erscheinen, dass eine Kette, deren Hauptzielgruppe mit Napster, Spotify und Co. aufgewachsen ist, plötzlich massenweise Schallplatten verkauft. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht erst den längst zum Schimpfwort mutierten Begriff mit H am Anfang und „ipster“ am Ende in den Mund nehmen. Dennoch ist Vinyl in der jüngsten Vergangenheit von einem altmodischen Medium zu einem Produkt mit hohem Coolnessfaktor avanciert. Die boomenden Verkaufszahlen sind Ausdruck dieses Wandels.
Letzlich ist die Meldung von bzw. über Urban Outfitters aber viel Aufregung um nichts. Man muss die Behauptung schlicht in die richtigen Relationen setzen. In den USA werden weiterhin fast 70% der Schallplatten in unabhängigen Plattenläden verkauft. Die wenigsten davon verfügen über mehrere Filialen, noch weniger sind in verschiedenen Städten präsent. Urban Outfitters hingegen verfügt weltweit über weit mehr als 200 Filialen, in Deutschland ist das Unternehmen in sechs Städten vertreten. Es ist doch vollkommen logisch, dass die Menge an verkauften Schallplatten hier größer ist als beim Plattenhändler deines Vertrauens um die Ecke. Und noch einmal: die Tatsache, dass Urban Outfitters mehr Schallplatten verkaufen soll als Amazon wundert mich nach wie vor. So lange beide Unternehmen keine verifizierbaren Verkaufszahlen vorlegen, halte ich die Behauptung von Calvin Hollinger für übertrieben.
Nur eines ist unbestreitbar: „An artist always gets the biggest cut if you buy it from their merch table, and the label gets the biggest cut if you buy it from their website.“ Das ist ein Zitat von Richard Laing, dem Verkaufsleiter von Sub Pop Records, aus einem Artikel im Blog der Village Voice, der bereits im Juni des vergangenen Jahres erschienen ist. Dieser trägt den bezeichnenden Titel „Is It OK to Buy Records at Urban Outfitters?“ und ist durchaus lesenswert. Also, liebe Leser, wenn ihr Künstler oder Label unterstützen wollt, kauft direkt bei ihnen oder im Plattenladen vor Ort.
Dass es sich hier um ein durchaus sensibles Thema handelt, zeigt folgender Tweet der Organisatoren des Record Store Days, die von der Urban Outfitters-Behauptung nicht sonderlich begeistert zu sein scheinen (Anm. d. Autors: Urban Outfitters ist in der jüngsten Vergangenheit immer wieder für verschiedene T-Shirt-Motive kritisiert worden):
Indie record stores are responsible for approx. 70% of new vinyl sales, 0% of fake bloody sweatshirt sales. #shoplocal #recordstores
— Record Store Day (@recordstoreday) 25. September 2014