Es gibt bestimmte Momente im Leben, bei denen sich jeder Mensch ganz genau daran erinnern kann, wo er gerade war. Daran, was er in diesem einen Moment gemacht oder gar gedacht hat. Wirklich jeder, den ich kenne, weiß ganz genau, wo er oder sie war, als die Twin Towers am 11. September 2001 in sich zusammen stürzten. Ich übrigens in Toronto.
In der Regel sind meine eigenen Erinnerungen mit Musik verbunden. Songs vermischen sich mit Orten zu besonderen Momenten. Manchmal positiver, häufig aber auch melancholischer Natur. Damals 1991 musste ich beim Abendessen mit meinen Eltern die Tränen zurück halten, nachdem ich erfahren hatte, dass Freddie Mercury gestorben war. Und das obwohl ich mich bis dahin gar nicht so sehr mit der Musik von Queen beschäftigt hatte. Noch einprägsamer war aber das Konzert, das zu seinen Ehren im Wembley Stadion durchgeführt wurde, um das Bewusstsein für AIDS zu stärken. Noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie Elton John und Axl Rose damals gemeinsam „Bohemian Rhapsody“ performten. Ganz großes Kino war das damals auf dem kleinen winzigen Fernseher im Arbeitszimmer meiner Eltern, dessen Bildschirm ungefähr so groß war wie heutige Tablets!
Es gibt noch einen zweiten derart einschneidenden Moment. Der 8. April 1994 – dieses Mal im Wohnzimmer meiner Eltern und auf einem wesentlich größeren Fernsehgerät. MTV flimmerte über den Bildschirm. Damals noch ohne deutsche Moderatoren und inklusive Musikvideos. Man mag es kaum glauben, aber das M in MTV hatte damals noch einen tieferen Sinn! An jenem Nachmittag lief jedenfalls plötzlich der MTV News Report. „The singer of one of the most gifted and promising bands is dead„, verkündete Moderator Kurt Loder. Kurt Cobain. Tot. Erschossen. Das war ein Schock!
Es war jene Zeit, die mich (musikalisch) am meisten geprägt hat. Pearl Jam ist für mich heute noch die beste Band der Welt. Die Alben von Alice In Chains, Soundgarden, Stone Temple Pilots oder Nebenprojekten wie Temple Of The Dog und Mad Season finden immer noch regelmäßig den Weg auf meinen Plattenteller oder – zeitlich passend – ins Kassettendeck.
In Utero das bessere Nevermind!
Nevermind kennt jeder, würde ich behaupten. Selbst heute läuft ein Song wie „Smells Like Teen Spirit“ noch auf Rocknächten in hiesigen Diskotheken rauf und runter. Und die Jugend dreht genau so durch wie damals. Here we are now, entertain us! Das Album „Nevermind“ hat sich bis heute mehr als 30 Millionen Mal verkauft und hat die Bands zu ungewollten Superstars gemacht. Heute gilt es als eines der wichtigsten Alben der Rockgeschichte. Vollkommen zurecht! Kaum eine Liste der besten Alben aller Zeiten kommt ohne „Nevermind“ aus. Vermutlich nicht eine einzige. Relevanz ist aber nicht immer gleichbedeutend mit Qualität. Damit möchte ich nicht etwa ausdrücken, dass Nevermind ein schlechtes Album ist. Ganz im Gegenteil, aber es ist eben nicht das Beste der Jungs aus Seattle. Diese Auszeichnung geht meiner Meinung nach an „In Utero“.
Es hat allerdings eine Weile gebraucht, bis ich zu dieser Erkenntnis gekommen bin. Als „In Utero“ damals heraus gekommen bin, war ich zunächst enttäuscht. Mit 14 wollte ich eine Fortsetzung von Nevermind, den rohen Sound von Songs wie „Territorial Pissings“. Die unbändige Wut, die aus jedem der Songs sprach, die ich damals textlich noch gar nicht so richtig verstanden habe. Der Nachfolger „In Utero“ war kein Grunge mehr. Während Nevermind auf den klassischen Songstrukturen Strophe-Refrain-Strophe-Refrain basierte, werden diese auf „In Utero“ aufgebrochen, wenn auch nicht bis zur Unkenntlichkeit. Produzent Steve Albini dürfte keinen allzu geringen Einfluss gehabt haben. Die Folge: „In Utero“ frisst sich nicht derart direkt und unnachgiebig in die Gehörgänge, wie Nevermind es vermochte. Das Album braucht Zeit. Ich spare mir an dieser Stelle mal die Analogie mit dem guten Wein.
Letztlich ist es das beste Album einer Band, die drei Alben veröffentlicht hat, die heute als Klassiker gelten können. Es gibt sogar zahlreiche Stimmen, die das Debütalbum „Bleach“ für besser halten als Nevermind. Unabhängig von dieser Einschätzung würde ich zu gerne wissen, in welche Richtung sich diese Band entwickelt hätte, wäre Kurt nicht so früh aus dem Leben geschieden. Wären Sie ihrem Stil wie Pearl Jam oder auch Alice In Chains (trotz Sängerwechsels) treu geblieben oder hätten Sie den selben Weichspüler benutzt wie Kings of Leon? Es ist müßig darüber nachzudenken. Ohne Zweifel sollte keines der Alben in einer gut sortierten Plattensammlung fehlen. Deswegen freue ich mich tierisch, dass „In Utero“ in wenigen Wochen in einer besonderen Edition erhältlich sein wird.
20th Anniversary Edition auf Dreifachvinyl
Vor zwanzig Jahren ist In Utero veröffentlicht worden. Im September 1993. Pünktlich zum Jahrestag des Erscheinens erhält das Album eine Jubiläumsedition auf Vinyl. Und was für eine! Drei 180 Gramm Vinyl wird die Edition umfassen. Insgesamt 70 Songs sind darauf enthalten. darunter wohl sämtliche remasterten B-Seiten, noch nie zuvor gehörte Songs und Bonus Tracks. SPIN Magazine bezeichnet das Ganze als „veritable treasure trove of never-before-heard demos, B-sides, compilation tracks, and live material featuring the final touring lineup of [Kurt Cobain, Krist Novoselic, Dave Grohl], and Pat Smear.“ Bei UVinyl in Großbritannien ist die Anniversary Edition bereits vorzubestellen. Zu einem Preis von 48,99 Euro. Ich hoffe, dass bald auch deutsche Mailorder das Album als Pre-Order anbieten. Veröffentlicht wird das Album übrigens am 23. September.