Fachbericht: Wie groß ist der ökologische Fußabdruck von Vinyl?

Fachbericht: Wie groß ist der ökologische Fußabdruck von Vinyl?

Habt ihr euch schon einmal über den ökologischen Fußabdruck eurer Plattensammlung Gedanken gemacht? Ich spätestens seitdem ich ein paar Jahre im Plattenladen gearbeitet habe. Dabei geht es nicht nur um die Herstellung des Vinyls, die bekanntermaßen alles andere als umweltfreundlich ist, sondern auch um die Wege, die eine Schallplatte manchmal zurücklegt oder den Müll, der während der Lieferkette produziert wird.

Wenn ich mir alleine die Unmengen an Pappe anschaue, die nach den wöchentlichen Vinyllieferungen in der Papiertonne gelandet sind. Hinzu kommen die Emissionen beim Transport der Schallplatten: vom Presswerk zum Vertrieb, vom Vertrieb zum Plattenladen, vom Plattenladen zum Onlinekunden. Manchmal war es mir geradezu unangenehm. Ein Beispiel gefällig?

Eine Schallplatte wird in Tschechien bei GZ Media gepresst. Anschließend wird sie zu Revolver Distribution in San Francisco verschifft. Als Plattenladen in Berlin bestellen wir die Platte bei Revolver und sie wird wieder zurück über den Teich geschickt. Zu guter letzt wird auf unserem Discogs-Profil jemand aus den USA auf die gelistete Platte aufmerksam und wir schicken sie erneut in die USA. Macht summasumarum mehr als 25.000 Flugkilometer für nur eine Platte. Und glaubt mir: das ist nicht so selten vorgekommen, wie ihr vielleicht denkt.

Bericht als Wegweiser für eine nachhaltige Vinylindustrie

Jetzt ist der erste Bericht zum CO2-Fußabdruck der Schallplattenindustrie (‚Vinyl Record Industry Carbon Footprint Report‘) erschienen, den eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Vinyl Alliance und der Vinyl Record Manufacturers Association erarbeitet haben. Die ‚Vinyl Alliance‘ wurde 2020 in Österreich als ‚Verein zur Förderung des Mediums Schallplatte‘ gegründet und ist die führende Branchengruppe, die sich für die Zukunft des Schallplattengeschäfts einsetzt. Die Mitglieder lesen sich wie ein Who Is Who der Branche.

Auflistung der Mitglieder auf der Webseite von Vinyl Alliance

Die ‚Vinyl Record Manufacturers Association‘ ist ein Handelsverband unabhängiger Unternehmen mit Sitz in Nashville, die sich durch Zusammenarbeit, Interessenvertretung, Standardisierung und Bildung dem Handwerk der Schallplattenherstellung verschrieben haben. Der gemeinsam erarbeitete Bericht (ihr könnt ihn euch hier runterladen) umfasst 35 Seiten und soll wertvolle Einblicke in die CO2-Emissionen bieten, die mit der Produktion und dem Lebenszyklus von Schallplatten verbunden sind. Für die Nachhaltigkeitsbemühungen der Vinyl-Industrie soll der Report ein Wegweiser sein.

Untersucht wurden dabei drei Bereiche der Industrie:  ein Presswerk, ein Stempelhersteller sowie ein Lackschneidestudio. Dabei erfolgte die Untersuchung von der Produktion bis zum Werkstor (cradle-to-factory-gate). Was danach passiert, etwa der Transport zu den Plattenläden und Vertrieben, geschweige denn den Endkund*innen, wird nicht berücksichtigt.

Die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst:

  • der ökologische Fußabdruck beim cradle-to-factory-gate-Ansatz beträgt 1,15kg CO2e (was ein CO2-Äquivalent, kurz CO2e genau ist, erfahrt ihr in diesem Artikel)
  • 50% dieser Emissionen stammen aus dem PVC, das zum Pressen der Schallplatten verwendet wird
  • Weitere 30 % der Emissionen stammen aus dem Energieverbrauch im Werk
  • Der Druck der Verpackungen wie Sleeves oder Gatefold Jackets macht weitere 13% der Emissionen aus
  • Lacke, Stanz- und Stempelherstellung sowie Verpackungen für den Transport sind alle vergleichsweise kleine Elemente des Fußabdrucks einer Schallplatte.

Splatter Vinyl am energieintensivsten

Da das verwendete PVC für 50% der Emissionen verantwortlich ist, spielt das Gewicht einer Schallplatte eine große Rolle für den CO2– Fußabdruck. Eine 180g Vinyl erhöht die Emissionen um 14% gegenüber einer 140g Vinyl. Wird Splatter Vinyl verwendet, erhöhen sie sich gar um 26% im Vergleich zu einer üblichen 140g Vinyl.

Nicht ohne Grund wird in diesem Bereich bereits seit geraumer Zeit nach Alternativen gesucht. So erscheinen mittlerweile zahlreiche LPs als Eco-Vinyl z.B. aus Überresten der Produktion. Coldplay haben ihr neues Album zuletzt auf ‚Eco Vinyl‘ veröffentlicht, das teilweise aus recycelten Plastikflaschen hergestellt wurde. Mit The Naked Vinyl Club gibt es mittlerweile sogar den ersten Schallplattenclub für umweltfreundliches Vinyl. Neue PVC-Zusammensetzungen können dem Report zufolge die Emissionen um bis zu 44 Prozent reduzieren.

Natürlich sind die Etappen nach dem Werkstor für den ökologischen Fußabdruck nicht minder relevant. Wie im obigen Beispiel benannt, spielen die Stationen entlang der Lieferkette eine wichtige Rolle. Der Bericht identifiziert dabei 5 Schritte, um den CO2-Fußabdruck zu minimieren:

  1. Abschaffung der Luftfracht
    • Der Transport von gepressten Vinyl Schallplatten per Flugzeug für den globalen Markt erhöht den Verbrauch von CO2-Emissionen massiv.
  2. Wechsel zu biologisch abbaubarem PVC
    • wie bereits erwähnt kann die Verwendung von hochwertigerem PVC den Fußabdruck um 44% reduzieren
  3. Pressen der Schallplatten auf 140g Vinyl
    • Schwere Schallplatten und besondere Farbvarianten erhöhen die Emissionen
  4. Verwendung von einfachen Verpackungen
    • Die Herstellung einer Gatefold-Verpackung erhöht den Fußabdruck einer Schallplatte um 10 bis 15%
  5. Wechsel zu kohlenstofffreier Energie
    • alle Unternehmen der Lieferkette sollten ihren Strom aus erneuerbaren Energie beziehen.

Der Weg zu einer energie- und emissionsarmen Industrie ist noch weit. Der einzige Vorteil von Vinyl Schallplatten ist die Tatsache, dass sie ein äußerst langlebiges Produkt sind. Während sich viele Menschen alle zwei Jahre ein neues Smartphone holen, verbringt eine Schallplatte oftmals Jahre oder gar Jahrzehnte in ein und demselben Haushalt. Ich persönlich habe noch nie eine Schallplatte auf den Müll geworfen. Auch im Plattenladen standen immer wieder Kund*innen vor uns, die uns ihre Schallplatten (oder die ihrer verstorbenen Verwandten) überlassen haben bevor diese auf den Müll wandern.

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