People try to put us d-down, Talkin‘ ‚bout my generation. Ich bin mir nicht sicher, ob der Song der heutigen Download- und Streaming-Generation noch ein Begriff ist. Im kommenden Jahr feiert „My Generation“ jedenfalls das 50. (!) Jahr seines Erscheinens. Vor einem halben Jahrhundert wurde der Song zum allerersten Mal auf Vinyl gepresst, das muss man sich einmal vorstellen! Die Band, die für diesen Klassiker verantwortlich ist, feiert schon in diesem Jahr 50jähriges Bestehen, was allein durch die Tatsache überschattet wird, dass mit Roger Daltrey und Pete Townshend nur noch zwei Gründungsmitglieder am Leben sind.
In ihrer Geschichte hat die Band elf Studioalben veröffentlicht. Angesichts von 50 Jahren Bandgeschichte mag das nicht nach besonders viel klingen, doch Alkohol- und Drogenprobleme und der viel zu frühe Tod von Drummer Keith Moon 1978 sorgten dafür, dass zwischen 1982 und 2006 kein Album veröffentlicht wurde. Und wenn man ganz ehrlich ist, wäre das Comeback-Album „Endless Wire“ nicht unbedingt nötig gewesen.
Überragt wird das musikalische Schaffen der Band in meinen Ohren von zwei Alben. Neben wütenden Rocksongs, die auf der Bühne immer wieder im Zerstören des vollständigen Equipments endeten, haben The Who gleich zwei Rockopern komponiert: „Tommy“ im Jahre 1969 und „Quadrophenia“ vier Jahre später. Beide Alben haben ebenso den Weg auf die Kinoleinwand gefunden. Um es kurz zusammenzufassen: Während Tommy als Film schlichtweg brillant ist und mich jedes Mal aufs Neue in seinen Bann zieht, weiß Quadrophenia musikalisch mehr zu überzeugen. Ich bin ziemlich stolz, dass ich die deutsche Erstpressung von 1973 in meiner Sammlung habe. Die Besonderheit an dem Exemplar ist ein 44seitiges Booklet mit Fotos.
Ein Album, das entdeckt werden will
Quadrophenia beginnt relativ entspannt mit einem Meeresrauschen von zwei Minuten Länge, das lediglich von ein paar Hintergrundgeräuschen unterbrochen wird. Bereits im Eröffnungssong wird im sich stetig wiederholenden Refrain jene Frage gestellt, die sich als Leitmotiv durch das Album zieht: „Can You See The Real Me, Doctor?“ Das folgende Titelstück ist einer der anspruchvollsten Songs, den Pete Townshend laut Eigenaussage je geschrieben hat. „The four-personality concept grew out of a naive understanding of schizophrenia – a misunderstanding of schizophrenia. Jimmy is a kid who suffers from schizophrenia, and when he takes pills, his schizophrenia divides up and he suffers from quadrophenia.„, sagt Pete Townshend über den Song und den Wortursprung.
Jede der vier Persönlichkeiten der Hauptperson Jimmy repräsentiert quasi ein Mitglied von The Who, deren Persönlichkeiten laut Pete Townshend grundverschieden sind bzw. waren. In den Linernotes des Albums werden die vier Typen wie folgt dargestellt:
- A tough guy, a helpless dancer. (aus „Helpless Dancer“ – Roger´s theme)
- A romantic, is it me for a moment? (aus „Is It Me?“ – John´s theme)
- A bloody lunatic, I’ll even carry your bags. (aus „Bell Boy“ – Keith´s theme)
- A beggar, a hypocrite, love reign o’er me. (aus „Love Reign O’er Me“ – Pete´s theme)
Hinter jeder einzelnen Note, jedem einzelnen Wort aus der Kehle von Roger Daltrey steckt ein Konzept. In einer Zeit in der die Songs auf vielen Alben austauschbar aneinander gereiht werden, mag das kaum noch vorstellbar erscheinen. Während Tommy die Phantasiegeschichte eines „Deaf, Dumb and Blind Kid“ rund um Acid Queens oder Pinball Wizards erzählte, erscheint Quadrophenia wie mitten aus dem Leben gegriffen. Die Lyrics erzählen die Probleme Jimmys beim Erwachsenwerden. Beim Finden seiner eigenen Identität. Ich möchte euch an dieser Stelle die Geschichte nicht Stück für Stück verraten. Denn auch wenn es sich hier um kein Hörbuch handelt, solltet ihr diese beim Hören von Quadrophenia für euch entdecken.
Also: Kauft euch das Album, hört es euch an, lest die Lyrics und die Geschichte von Jimmy. Am Besten funktioniert das Ganze natürlich auf Vinyl. Denn immerhin ist das Album 81 Minuten lang. Quadrophenia will entdeckt werden. Das Ganze nebenbei streamen oder gar einzelne Songs herunterladen und aus dem Gesamtkontext herausreißen – unmöglich! Quadrophenia funktioniert nur als Ganzes. Es ist das Meisterwerk einer Band, die vor einem halben Jahrhundert dem Großteil einer heranwachsenden Generation aus der Seele gesprochen hat. (Eine kurze Anmerkung nebenbei: warum gibt es eine solche Band eigentlich heute nicht mehr?)
Quadrophenia als Film
„Quadrophenia, the major musical statement about an angry generation is now a motion picture for every generation“, heißt es im Trailer des Films. Sechs Jahre nach dem Release des Albums kam der Film 1979 in die Kinos. Während die Songs von The Who bei „Tommy“ das Grundgerüst des Films bilden und von den verschiedenen Schauspielern gesungen werden, stellen sie bei „Quadrophenia“ eher die untermalende Hintergrundmusik dar. Auf dem Soundtrack sind auch Songs anderer Künstler wie James Brown oder The Ronettes vertreten. Sting, damals noch Sänger von The Police, gab in dem Film in der Rolle des Ace übrigens sein Schauspieldebüt. Beide Filme haben längst Kultcharakter erlangt. Vollkommen zurecht, wie ich finde. Die Coming of Age-Geschichte von Jimmy hat auch heute nichts an Aktualität eingebüßt. Wer es noch nicht getan hat, sollte sich den Film – oder am besten beide – definitiv zu Gemüte führen.