„We got The System – to fuck The System“ lauten die ersten Worte auf der Platte der griechischen Progressive Rock-Band Aphrodite´s Child. Obwohl schon 1972 veröffentlicht, passen die Zeilen scheinbar perfekt zum heutigen politischen und wirtschaftlichen Zustand Griechenlands, das in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten konsequent herunter gewirtschaftet worden ist. Freilich waren die Worte eher gegen die damals noch herrschende Militärjunta gerichtet. Nicht ohne Grund wurde die Band 1968 im Exil in Paris gegründet. Mit dem dritten Album „666“ schuf Aphrodite´s Child ein Meisterwerk des progressiven Rocks.
Aphrodite´s Child sind eine Band, die ich lange Zeit schlicht nicht wahrgenommen habe. Ich kann mich nicht dran erinnern, jemals einen ihrer Songs im Radio gehört zu haben. Erst als mein Vater eines Tages davon erzählte, dass mein Onkel großer Fan der Band war und deren Platten noch im Original besitzt, wurde ich aufmerksam. Dabei sind die Namen der Mitglieder durchaus bekannt: Zum einen Bassist und Sänger Demis Roussos, der in den 1970ern als Solokünstler sehr erfolgreich war und weltweit mehr als 60 Millionen Alben verkaufte, und Keyboarder Evangelos Odysseas Papathanassiou – kurz: Vangelis! Dieser erlangte in erster Linie als Komponist weltweite Bekanntheit, u.a. von Soundtracks wie Blade Runner oder „1492: Conquest of Paradise“.
Die erste Single „Rain and Tears“ sowie die vermeintlich größten und bekanntesten Hits „Spring, Summer, Winter And Fall“ und „It´s Five O´Clock“ sind recht eingängige, pathetische Folksongs, die von Demis Roussos Stimme dominiert werden. Die Parallelen zu Procol Harum oder einem Song wie „Nights In White Satin“, der ein Jahr vor dem Debütalbum von Aphrodite´s Child veröffentlicht wurde, sind in meinen Ohren unüberhörbar. Wirklich meins war das nicht. Dementsprechend erleichtert bin ich, dass ich dem dritten und letzten Album „666“, das 1972 erschienen ist, trotzdem eine Chance gegeben habe. Denn dieses stellt einen kompletten Stilbruch gegenüber den beiden Vorgängern dar und hat es als einziges Album in meine Plattensammlung geschafft.
Ein anstrengendes Meisterwerk des Progressive Rock
Mit Eingängigkeit oder Radio- und Chartstauglichkeit hat das Konzeptalbum, das sich auf 80 Minuten Länge erstreckt und auf Passagen aus der Offenbarung des Johannes bezieht, nichts mehr am Hut. Zu Beginn des Albums werden Procol Harum als Referenzband durch The Who ersetzt, deren Album „Quadrophenia“ den Auftakt der Vinyl Classics-Reihe bildete. Die Gitarren des einleitenden „Babylon“ klingen so dermaßen nach „Pinball Wizard“, das man als Hörer beim Einsetzen der Stimme von Demis Roussos kurzzeitig regelrecht irritiert ist. Auf den folgenden vier Seiten und 24 Songs, die zwischen der Länge eines Interludes und ausufernden Epen von knapp 20 Minuten Länge variieren, entfaltet sich ein experimentelles Progrock-Abenteuer. Den wenigen eingängigen Momenten wie in „The Four Horsemen“, das vermutlich als einziger radiotauglicher Hit durchgehen dürfte, steht eine genreübergreifende Melange aus Jazz, Psychedelic, Rock und folkloristischen Klängen gegenüber. „An amazingly bombastic concept album about the Apocalypse of St. John seen as a rock spectacle„, schreibt All Music über „666“.
Seinen Höhepunkt findet das Album in „All The Seats Were Occupied“, das mit seinen knapp 20 Minuten Länge nahezu die gesamte D-Seite des Album einnimmt. An dieser Stelle muss man der Fairness halber erwähnen, dass der Konsum des Albums manchmal durchaus anstrengend sein kann. Es ist kein Album für alle Tag- und Nachtzeiten. „If you can sit through all four sides in one setting, well, then you’re a better man or woman than me„, schreibt Larry Carta in einer sehr gut geschriebenen Rezension. Spätestens im erwähnten „All The Seats Were Occupied“, wenn in einigen Momenten mehrere Songs aus den vorherigen drei Seiten übereinander gelegt werden, oder sich Irene Pappas in „Infinity Symbol“ emphatisch zu einem Orgasmus stöhnt, der jede Pornoaufnahme spielend in den Schatten stellt, setzt beim Hörer die Neigung ein, den Lautstärkeregler nach unten zu drehen. Um die eigenen Gehörgänge und die Geduld der Nachbarn nicht überzustrapazieren. „It certainly has its moments, but the entire set eventually becomes too overwhelming to sit through“ – noch einmal ein Zitat von All Music.
Trotz alledem ist das Werk ein Klassiker des Progrocks, ein Genre, das halt nicht für den einfach Genuss zum Nebenbeihören erschaffen worden ist. In den Top 25-Alben der Progrock-Geschichte, die das Online-Magazin IGN aufgestellt hat, belegt das Album direkt hinter „A Lamb Lies Down On Broadway“ von Genesis und „In The Court Of The Crimson King“ von King Crimson den dritten Platz. Auch wenn solche Listen stets eine subjektive und streitbare Angelegenheit sind, sollten Fans des Progressive Rock diesem Album definitiv ihr Ohr leihen.
Tracklist:
Seite A:
1. The System
2. Babylon
3. Loud, loud, loud
4. The Four Horsemen
5. The Lamb
6. The Seventh Seal
Seite B:
1. Aegian Sea
2. Seven Bowls
3. The Wakening Beast
4. Lament
5. The Marching Beast
6. The Battle Of The Locusts
7. Do It
8. Tribulation
9. The Beast
10. Ofis
Seite C:
1. Seven Trumpets
2. Altamont
3. The Wedding Of The Lamb
4. The Capture Of The Beast
5. Infinity Symbol
6. Hit Et Nunc
Seite D:
1. All The Seats Were Occupied
2. Break