Vinyl ist wieder in. Die Verkaufszahlen steigen kontinuierlich, nahezu jedes Album ist wieder auf der guten alten Schallplatte zu bekommen und immer mehr Plattenläden öffnen ihre Türen. „Weil es wieder schick ist, Vinyl-Platten zu kaufen, werden sie neuerdings auch im Bio-Supermarkt angeboten„, schreibt Spiegel Online dazu. Diese Woche reihte sich ausgerechnet Amazon, das mit seinem Kindle Reader oder Mp3-Store durchaus als Vorreiter der digitalen Distribution bezeichnet werden kann, in die Reihe der Erfolgsmeldungen ein.
Amazon UK verkündete, dass sich die Verkäufe von Vinyl 2013 im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr um 100% gesteigert haben. Im Vergleich zu 2008 ist sogar eine Steigerung von 745% zu verzeichnen! Verantwortlich für den Anstieg der Verkäufe ist in diesem Jahr vor allem eine Band: Daft Punk. „Random Access Memories“ ist das meistverkaufte Vinyl Album aller Zeiten auf Amazon UK. Auch in den USA ist es in diesem Jahr das meistverkaufte Album.
Ein zweiter wichtiger Grund ist AutoRip. Wer es noch nicht kennt: AutoRip ermöglicht es allen Amazon-Kunden, die ausgewählte Alben auf CD oder Vinyl bestellen, die Songs im selben Moment als Mp3s herunterzuladen. Völlig kostenlos. Vinyl Alben, bei denen AutoRip zur Verfügung steht, verkaufen sich zu 62% mehr als vergleichbare Alben ohne AutoRip-Funktion. Ein geschickter Schachzug von Amazon, da der Kunde auf diese Weise das Album nicht nur auf seinem Plattenteller rotieren lassen kann, sondern es auch mobil auf Smartphone oder iPod hören kann. Eine Sache, die ich persönlich äußerst komfortabel finde, da ich täglich alleine zwei Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln benötige, um zur Arbeit und wieder nach Hause zu kommen. Und ich versichere euch: Ohne gute Musik auf den Ohren kann U-Bahn-Fahren in Berlin eine echte Qual sein!
Beweis genug für das viel zitierte Vinyl Revival?
Ich möchte mich an dieser Stelle gar nicht groß darüber auslassen, warum Vinyl plötzlich wieder mainstreamtauglich zu sein scheint. Jeder Leser dieses Blogs weiß selber genau, warum er eine Schallplatte gegenüber Mp3 oder CD bevorzugt. Reicht die Meldung von Amazon UK aber tatsächlich, um von einem Vinyl Revival zu sprechen?
Der Independent zitiert Paul Firth, Head of Music bei Amazon UK, mit den Worten: „There´s a general support for vinyl amongst the labels right now. Most big releases come with a vinyl edition now.“ In den USA sind die Vinylverkäufe im ersten Halbjahr um knapp ein Drittel gestiegen. Selbst die in den letzten Jahrzehnten alles dominierende CD wird mittlerweile in den Schatten gestellt: Während Verkäufe von Vinyl im vergangenen Jahr um 15% gestiegen sind, sind jene von CDs um 20 Prozent eingebrochen (Zahlen für Großbritannien, Entertainment Retailers’ Association). Vinyl Verkäufe in „independent record stores“ sind um 45 Prozent gestiegen.
Also alles super? Nun ja, mit Prozentzahlen sollte man stets vorsichtig sein. Verkaufe ich heute eine Schallplatte und morgen zwei, ist das auch eine Steigerung von 100 Prozent! Leben könnte ich davon trotzdem nicht. Vinyl ist noch immer ein Nischenprodukt. Ein Objekt der Begierde für einen überschaubaren, wenngleich wachsenden, Kreis von Liebhabern. 2012 wurden in Großbritannien 389.000 Schallplatten verkauft. Das ist (sorry!) ein Witz im Vergleich zur CD, von der fast 70 Millionen Exemplare abgesetzt werden konnten. Amazon UK hat keine exakten Zahlen veröffentlicht, die Vinyl Verkaufszahlen bewegen sich aber vermutlich im Bereich von wenigen tausend Exemplaren.
Ich möchte an dieser Stelle keinen Pessismismus verbreiten. Es ist großartig, dass Vinyl wieder eine Rolle zu spielen scheint und man sie selbst bei großen Retailern wie Amazon oder Saturn kaufen kann – auch wenn ich den gemütlichen Plattenladen um die Ecke bevorzuge. Dennoch werden Plattenläden auch in Zukunft um ihr Überleben kämpfen müssen. In Großbritannien gibt es nur noch 300 „independent record stores“, die man allerdings nicht unbedingt mit einem klassischen Plattenladen vergleichen kann. Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, schaut euch die Dokumentation „Last Shop Standing“ an. Independent Record Stores sind zwar nur für 3,2 Prozent der gesamten Albenverkäufe verantwortlich, aber für mehr als 50 Prozent der Vinyl Verkäufe.
In diesem Zusammenhang noch eine weitere Statistik zum Abschluss: Vinyl macht 2 Prozent sämtlicher Musikverkäufe aus. Wenn es nach mir geht, stünde dort eine 100. Wer braucht schon CDs oder Mp3s!? Wer aber zum Beispiel auf der Berlin Music Week zu Gast war, wird wissen, dass Vinyl sich aller prozentuellen Steigerungen zum Trotz nicht wieder zu einem Massenprodukt entwickeln wird. Digital über alles lautet hier das Stichwort, wie ich vor einer Woche bereits in einem Artikel geschrieben habe. Bei aller Euphorie um das viel zitierte Vinyl Revival, sollte also ein bißchen Platz für Realismus bleiben. Nicht mehr und nicht weniger.
Noch ein paar Statistiken gefällig?
In der unten stehenden Infografik erfahrt ihr, welche Alben auf Vinyl sich in den letzten Jahren am Besten verkauft haben, und welche Genres beim Vinylkauf bevorzugt werden (zum Vergrößern einfach auf die Grafik klicken).