Digital ist besser. So heißt nicht nur ein Album von Tocotronic, das ich zu Hause auf einer alles andere als digitalen Schallplatte im Regal stehen habe. Digital ist besser schien auch das inoffizielle Motto der diesjährigen Berlin Music Week zu sein. Vielleicht sollte man sogar von „Digital über alles“ sprechen. Wenn man sich einmal das Programm der Word-Conference näher zu Gemüte führt, ging es hier in den Vorträgen und Workshops um digitale Distribution, Apps, Crowdfunding und Events. Der Freitag drehte sich nahezu vollständig um das Thema Streaming, das in den kommenden Jahren nicht weniger vollführen soll, als die komplette Musikindustrie zu retten. In seiner Keynote betonte Laurent Billion, Chief International Officer von Deezer (offizieller Streamingpartner der Berlin Music Week), zwar, dass „CD und Vinyl niemals komplett verschwinden werden.“ Der Unterton seiner Stimme hatte etwas Mitleidiges. Aufbauende Worte für den abgehängten Verlierer.
Physische Datenträger spielten auf der Berlin Music Week überhaupt keine Rolle. Zwar war auf der übersichtlichen Messe der ein oder andere Stand zu finden, auf dem tatsächlich eine CD oder Vinyl ausgelegt war, z.B. bei Discpartner, die pro Jahr knapp 50.000 Vinyl produzieren. „Momentan sind unsere Kapazitäten bereits Monate im voraus ausgebucht„, erzählte mir ein Verantwortlicher stolz. Trotzdem hatte das Ganze was von dem häufig bemühten gallischen Dorf und seinem Kampf gegen das römische Musikimperium. Wenn ich in Gesprächen erwähnte, dass sich mein Musikblog nahezu ausschließlich um Schallplatten dreht, mischte sich das nostalgische Leuchten in den Augen der Gesprächspartner mit einem verwunderten Unterton der Marke „Ach was, die gibt es tatsächlich noch!?“ Da ich mein Fazit über die Berlin Music Week an dieser Stelle problemlos beenden könnte, möchte ich diesen Beitrag einer Frage widmen, die mich seit einiger Zeit beschäftigt.
Die gute alte Vinyl – vom Nischenprodukt zum Luxusgut?
Ich habe vor ein paar Wochen schon einmal auf Facebook geschrieben, dass ich das Gefühl habe, dass sich Vinyl zu einer Art Luxusgut entwickelt. Ich habe in diesem Jahr bereits mehrfach für eine Doppelvinyl um die 30 Euro hinblättern müssen – Palms, Bosnian Rainbows oder zuletzt Edward Sharpe & The Magnetic Zeros. Und ich spreche hier jetzt nicht von irgend welchen besonderen Editionen mit einer extra 7“, tollen Bonustracks, schicken Kunstdrucken oder einem besonders extravagantem Artwork. Ich spreche von zwei schwarzen oder farbigen Vinyl samt Hülle und Cover. Bitte nicht falsch verstehen: Dass eine Vinyl, erst recht eine doppelte, mehr kostet als eine CD oder gar ein herunter geladenes Album von iTunes, ist mir bewusst. Und auch vollkommen in Ordnung. Ich bin gerne dazu bereit, für eine Schallplatte den ein oder anderen Euro mehr zu bezahlen. Doch 1. muss es eine Grenze geben und 2. muss der Preis für mich als Kunde nachvollziehbar sein.
Den Preis für die neue Pixies-EP zum Beispiel empfinde ich als absolute Frechheit! Die Vinyl-Version kostet 18 Euro. Das klingt nicht besonders teuer, es sind aber lediglich vier Songs enthalten. Macht also 4,50 Euro pro Song! Besonders bitter aufgestoßen ist mir ein Erlebnis in der vergangenen Woche: Beim Durchstöbern eines Mailorders bin ich auf ein Reissue des grandiosen Blood Brothers-Albums „Burn, Piano Island, Burn“ gestoßen. Das gibt es in drei verschiedenen Varianten – in den Farben schwarz, orange und gelb. Nichts Ungewöhnliches heutzutage. Farbiges Vinyl erfreut sich einer immer größeren Beliebtheit unter Plattenliebhabern. Beim Blick auf den Preis musste ich kurz schlucken: Schwarzes Vinyl für 20,99€, die Varianten in gelb und orange für 31,99€. Der Käufer soll also elf Euro mehr auf den Tisch legen, damit sich daheim eine farbige Vinyl auf seinem Plattenteller dreht! Was soll das, frage ich mich? Fast schon müßig zu erwähnen, dass es sich bei den farbigen Vinyl um limitierte Editionen handelt – beide auf 524 Kopien begrenzt. Es scheint so, als würde die Plattenfirma hier bewusst eine künstliche Verknappung herbeiführen, um den Preis in die Höhe zu treiben.
Auch auf Flohmärkten scheinen einige Händler mittlerweile erkannt zu haben, dass aus der Leidenschaft von Plattenliebhabern der ein oder andere Euro mehr rauszuholen ist. Plötzlich kostet „The Lamb Lies Down On Broadway“ von Genesis mit angerissenem Cover und einer Vinyl in einer Qualität, die ich so eben noch als Good (G) einstufen würde, einen zweistelligen Betrag. In den Kisten mit Preisen von unter vier Euro findet sich fast nur noch Schlager- und Volksmusikmist.
The Problem with Collecting Vinyl
Vor ein paar Wochen hat sich Jeremy Ron von VinylJunkies666 in einem Video tierisch über die heutige Preis- und Pre-Order-Politik einiger Plattenfirmen aufgeregt. Wer das Video noch nicht kennt, bitte schön:
Konkret geht es um das neue Album von Red Fang, das am 15. Oktober auf Relapse Records erscheint. Auf Vinyl in einer Auflage von 12000 Stück. 6000 davon erscheinen in der „normalen Edition“ auf schwarzem Vinyl für 15,99$, tausend erscheinen als Picture Disc für 19,99$. Die restlichen 5000 Kopien erscheinen als Deluxe Doppelvinyl in vier verschiedenen Farben – gold, silber, blutrot oder „Coke Bottle Green“. Zu einem Preis von 45,99$ das Exemplar. Ausgeschrieben: fünfundvierzig Dollar und neunundneunzig Cent! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Für dreißig Dollar mehr erhält der Käufer zwei Bonustracks auf der zweiten Vinyl und ein Poster. Das war´s. Na gut, das Cover kommt mit einem schicken 3D-Effekt daher, aber wer braucht so etwas wirklich? Für diese Preispolitik hat Relapse Records eine Menge Kritik einstecken müssen. Vollkommen zurecht, wie ich finde. Grundsätzlich habe ich kein Problem mit limitierten Sondereditionen. Wenn ein Fan unbedingt eine Kaffeetasse und ein Shirt der Horrible Crowes kaufen möchte, soll er das tun. Man kann es aber auch übertreiben, wie die beschriebenen Beispiele zeigen, die sich leider zu häufen scheinen.
Jeremy Ron bringt das treffend auf den Punkt: „Music on Vinyl is about the music! Once the average kid can´t afford that, you´ve killed your own industry. No longer is it fun, it´s a drag to buy a record, because you know it´s gonna kill your wallet!“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Dass es auch anders geht, zeigen zahlreiche Beispiele. Das aktuelle Album von Volcano Choir (übrigens sehr hörenswert!) gibt es in der farbigen, transparenten Version für einen Euro mehr als die schwarze Vinyl. Für die Jubiläumsedition von Nirvanas „In Utero“ auf drei Vinyl muss der Käufer 38,99 Euro auf den Tisch legen. Eine Summe, die ich in beiden Fällen liebend gerne bezahlen werde.
Ein kurzes, hoffnungsfrohes Fazit
Insgesamt ist der Beitrag negativer ausgefallen als ursprünglich geplant. Es stimmt, ich mache mir ernsthafte Gedanken darüber, in welche Richtung sich das Vinyl-Business bewegen wird. Denn ich möchte mir auch in Zukunft Vinyl kaufen können, ohne ständig mein Konto überziehen zu müssen oder das Gefühl zu erhalten, über den Tisch gezogen zu werden. Dass Plattenfirmen auch mit der guten alten Vinyl den ein oder anderen Euro verdienen möchten, ist mir trotz aller Nostalgie bewusst. Absolut kein Problem. Ich werde auch in Zukunft mein Geld liebend gerne in die Plattenläden und auf die Flohmärkte dieser Republik tragen.
Am Ende muss ich dann doch noch einmal kurz auf die Berlin Music Week zurückkommen. In seiner Eröffnungskeynote sagte Chris Kaskie, Präsident des Online-Musikmagazins Pitchfork, folgenden Satz:
„I collect records because I want my kids to have them when I die. No ‚Thanks for all the mp3s, dad!‘“ Recht hat er, der Mann! Die Vinyl wird immer ihre Nische finden. Nur zu welchem Preis, das ist die große Frage!