Vor wenigen Tagen herrschte ordentlich Aufregung in der Online-Community der Plattensammler*innen und Vinylfans – zumindest in Großbritannien. Der Grund: Rough Trade hatte sich mit FlipVinyl zusammengetan, damit Plattensammler*innen online auf möglichsten schnellem und einfachem Wege ihr Second Hand Vinyl verkaufen können. Das stieß – gelinde gesagt – nicht auf besonders große Gegenliebe, sogar von Abzocke war die Rede. Aber fangen wir von vorne an.
Was ist FlipVinyl eigentlich?
Hinter der Online-Plattform FlipVinyl steht mit der recordsale & musicberlin GmbH einer der größten Gebrauchthändler für Vinyl Schallplatten in Deutschland. Neben dem eigenen Onlineshop auf recordsale.de ist das Unternehmen mit einem riesigen Angebot bei Discogs vertreten. Dort stehen aktuell mehr als 1 Million Vinyl Schallplatten zum Verkauf!
Bei FlipVinyl handelt es sich um eine Plattform, über die Nutzer*innen ihre Schallplatten verkaufen können. Das Ganze soll dabei möglichst schnell und einfach in nur vier Schritten ablaufen:
- das passende Album raussuchen
- Wert ermitteln und einen Preis erhalten
- die Platte verpacken und verschicken
- die Verkaufssumme bekommen
Damit funktioniert FlipVinyl ähnlich bekannteren Plattformen wie momox oder medimops, wo man gebrauchte Produkte wie Bücher oder DVDs und Blu-Rays verkaufen kann. In der Regel scannt man dafür lediglich den Barcode und bekommt direkt einen Kaufpreis für das Produkt angezeigt – sofern dieses gelistet ist. FlipVinyl wirbt sogar damit, dass man bloß das Cover des Albums fotografieren muss, damit das Album und der passende Preis angezeigt wird. Das funktioniert zwar bei absoluten Klassikern wie einer ‚Dark Side Of The Moon‘, sonst aber bei nur wenigen getesteten Platten.
Erklären sich die Nutzer*innen der Plattform mit dem ermittelten Preis des Vinyls einverstanden, müssen die Platten lediglich verpackt und zu FlipVinyl geschickt werden. Nach einer Überprüfung ist der Kaufpreis dann wenige Tage später auf dem eigenen Konto. So weit, so einfach. Warum also all die Aufregung der letzten Tage?
Was steckt hinter der Empörung über Rough Trade?
Am Freitag hat Rough Trade auf seinen Social Media-Accounts eine Kooperation mit FlipVinyl verkündet. „Tausche deine geliebten Schallplatten gegen Bargeld bei FlipVinyl – powered by Rough Trade“ hieß es dort im betreffenden Post. Eigentlich kein weiter erwähnenswerter Vorgang, möchte man meinen, denn jeden Tag werden in Plattenläden gebrauchte Vinyl Schallplatten angekauft. Die Reaktionen und Kommentare auf die Kooperation waren dennoch verheerend.
Nutzer*innen kritisierten dabei in erster Linie die Wertermittlung für einige Platten. Angeblich sollen einem Nutzer 9 britische Pfund für das 2015 erschienene „David Bowie Boxset ‚[Five Years 1969 – 1973]’geboten worden sein, das bei Discogs bereits für vierstellige Summen verkauft worden ist. Und tatsächlich: nach Eingabe des Albumtitels schmeißt mir FlipVinyl einen Wert von 11,01€ aus, den ich für das Boxset bei einem Verkauf bekommen würde.
Eine Platte der Dee Gees, einem Nebenprojekt der Foo Fighters, die seit dem Record Store Day 2021 in meiner Sammlung steht und zuletzt bei Discogs für durchschnittlich 150€ verkauft worden ist, erbringt bei FlipVinyl einen niedrigen Eurobetrag. Die Wut auf Rough Trade war dementsprechend immens, ein Nutzer schrieb sogar von einer „Verneigung vor der Gier des opportunistischen Kapitalismus“. Ein Beitrag des NME fasst weitere Reaktionen von Nutzer*innen zusammen.
Letztlich dauerte es nicht lange bis Rough Trade aufgrund der Vielzahl an negativen Reaktionen die Kooperation mit FlipVinyl wieder beendete. In einem Statement entschuldigte sich Rough Trade und schrieb: „Es ist klar, dass wir basierend auf dem Feedback mehrerer Kunden falsche Annahmen getroffen haben und dass die Leute diesen Service als unangebracht empfanden und uns als Profitmacher ansahen.“ Im abschließenden Satz ist aber auch von „Zeit für eine Neubewertung“ die Rede. Ob das eine Neuauflage der Kooperation für die Zukunft ausschließt, wird nicht deutlich.
Ist die Aufregung über Rough Trade übertrieben?
Hier könnte ich mit den Worten von Fettes Brot mit einem klaren ‚Jein‘ antworten. Hinter FlipVinyl steht mit recordsale ein Wiederverkäufer, der selbst an den Platten verdienen möchte. Es ist also vollkommen logisch und liegt in der Natur der Sache, das Nutzer*innen des Services hier nicht den eigentlichen Wert der Platte als Verkaufspreis erhalten.
Anders funktioniert es in einem Plattenladen auch nicht. Um bei oben erwähnten Beispiel der Dee Gees LP zu bleiben: als Inhaber*in eines Plattenladens würde ich einer potentiellen Verkäufer*in niemals die Summe von 150€ bieten, welche die Platte eigentlich wert ist. Schließlich möchte ich beim Wiederverkauf der Platte im Laden oder bei Discogs etwas verdienen. Also biete ich beispielsweise eher ein Drittel des potentiellen Wertes, also in diesem Fall 50€.
Wenn FlipVinyl für die Dee Gees LP allerdings einen Wert von 1,15 Euro ausweist, ist der Vorwurf der Abzocke natürlich nicht weit, da die Differenz zum eigentlichen Wert immens ist. Hier stößt das Tool zur Wertermittlung ganz offensichtlich an seine Grenzen. Und nicht nur hier.
Das Problem mit den Pressungen
Insbesondere bei bekannten Klassikern kann es schnell unübersichtlich werden, was die Anzahl der Pressungen angeht. Aber selbst bei neuen Alben gibt es mittlerweile oft ein Dutzend verschiedene Farben, deren Wert sich häufig mächtig voneinander unterscheidet. Auch für Experten ist es manchmal schwierig direkt zu sehen, welche Pressung des White Albums man in den Händen hält. Erst das Prüfen von Labelcodes, Matritzennummern o.ä. ergibt hier Klarheit. Hier stößt eine Plattform wie FlipVinyl natürlich an ihre Grenzen.
Ein Beispiel aus meiner eigenen Sammlung: wenn ich nach dem Album ‚Stranger In The Alps‘ suche, werden mir 2 Ergebnisse angezeigt. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich wird, inwiefern sich diese unterscheiden, ist der Wert sehr niedrig. Immerhin steht in meiner Sammlung die Erstpressung auf lavendelfarbenem Vinyl, die auf Discogs gerne mal für mehr als 200€ verkauft wird. Wenn ich nicht weiß, welchen Schatz meine Sammlung hier beherbergt, wäre ein Verkauf für eine derart geringe Summe sehr ärgerlich.
Viele Nutzer*innen einer Plattform wie FlipVinyl dürften nicht wissen, welche Pressung sie eigentlich in den Händen halten. Und die Suchfunktion hilft hier nicht wirklich weiter, häufig werden gar nicht erst verschiedene Möglichkeiten angezeigt. Lediglich bei Klassikern wie ‚Dark Side Of The Moon‘ erscheint eine Auswahl an Raritäten.
Ist Flip Vinyl zu empfehlen?
Zurück zu der Frage, ob die Aufregung berechtigt ist: grundsätzlich ist an dem Geschäftsmodell von FlipVinyl nichts auszusetzen. Als Nutzer*in kann ich hier schnelles Geld erhalten, vor allem wenn ich mich mit Vinyl nicht allzu gut auskenne. Ich habe vor kurzem z.B. bei momox eine Handvoll Bücher verkauft, darunter ungelesene. Natürlich weiß ich, dass ich mehr Geld hätte bekommen können, wenn ich diese einzeln bei eBay (im Falle von Vinyl bei Discogs) einstellen würde. Doch so hatte ich das Geld direkt auf dem Konto und musste nicht erst warten bis sich ein Käufer findet. Bei Discogs dauert es manchmal Wochen und Monate bis ein Interessent tatsächlich die Platte kauft.
Wer sich etwas mit Vinyl auskennt und nicht aufs schnelle Geld angewiesen ist, sollte von FlipVinyl lieber die Finger lassen. Rough Trade deswegen Abzocke oder Gier vorzuwerfen scheint mir übertrieben, darf aber angesichts der oben erwähnten Beispiele auch nicht verwundern. Verbesserungswürdig ist daher die Kommunikation von Rough Trade. Der Shitstorm war durchaus absehbar, und auch das schnelle Einknicken wirkt nicht besonders durchdacht. Hier hätte man sich auf Seiten der Verantwortlichen im Vorfeld mehr Gedanken über die Umsetzung sowie die Außendarstellung des Geschäftsmodells machen sollen.