Postrock ist eines der tollsten musikalischen Genres. Eines, bei dem ich mich mit Kopfhörern auf dem Sofa stundenlang verlieren kann. Nur leider hat das Genre in meinen Ohren ein gewaltiges Problem: die Austauschbarkeit. Durch die größtenteils instrumentale Musik und damit das Wegfallen einer einzigartigen Stimme als Erkennungsmerkmal, ist es oft schwer, Bands und/oder Alben voneinander zu unterscheiden. Ich könnte darauf wetten, dass ich beim Abspielen einiger Schallplatten aus meiner Postrock-Abteilung erst mal nachschauen müsste, wer der Interpret ist – obwohl ich den Song kenne.
Natürlich gibt es aber auch in diesem Genre Bands mit einem hohen Wiedererkennungswert. Wie zum Beispiel Mono, Godspeed You! Black Emperor oder eben Wang Wen, die mit ihrem mittlerweile zwölften Album in 20 Jahren (Respekt!) den Vinyl der Woche-Titel einheimsen. Erstmals wahrgenommen habe ich die Band mit ihrem 2014er Album „Eight Horses“ und ihrer tollen, kurz davor veröffentlichten Split mit den Labelkumpanen von pg.lost. Seitdem ist jedes Album der Band in meine Plattensammlung gewandert – mit dem jetzt veröffentlichten Album sind es also sieben an der Zahl.
Corona als bestimmender Einfluss
Wang Wen stammen aus Dalian im Nordosten Chinas. Auch wenn der Name vermutlich den wenigsten etwas sagen dürfte, hat die Stadt im urbanen Raum knapp 5 Mio Einwohner, also weit mehr als Berlin. Ich mag mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, wie sich die letzten von der Pandemie beherrschten Jahre für die Bandmitglieder im strikt der Null-Covid-Strategie unterworfenen Land angefühlt haben. Auch wenn der Name des aktuellen Albums (Nummer zwölf!) für mich ein wenig nach „Crouching Tiger, Hidden Dragon“, dem tollen Ang Lee-Film aus dem Jahre 2000, klingt, handelt es sich um die Bezeichnung für die chinesischen Tierzeichen der letzten beiden äußerst heraus fordernden Kalenderjahre. Nicht ohne Grund beschäftigt sich das neue Album mit den Lebenserfahrungen der vergangenen zwei Jahre. „Die Realität ist, dass sich die dunkle Seite nähert und unzählige erbärmliche Unfälle vor uns passiert sind. All das Grausame und die Diktatur kommen zurück und wiederholen sich immer und immer wieder in einer toten Schleife der Geschichte, die heutzutage weniger weit entfernt und verschwommen ist“, heißt es recht düster im Pressetext zum Album.
Jetzt schon ein Postrock-Highlight des Jahres!
Spurlos ging diese Grundhaltung natürlich nicht an den sieben Tracks auf „Painful Clown & Ninja Tiger“ vorbei. Nach dem eher luftig-lockeren Vorgänger ist diese Düsterheit in vielen Momenten auf dem Album zu spüren, mit dem Wang Wen ihre Musik nochmals auf ein neues Niveau heben.Unter anderem mit einer Abkehr vom bisher rein instrumentalen Weg, die einen erstmals im zweiten Song „Gone Library“ überrascht. Tatsächlich ist dort Gesang zu hören. Die dunkle, baritone Stimme des Gitarristen fügt sich – immer wieder begleitet von Bläsern und jazzigen Elementen – wunderbar in die Grundstimmung des Albums ein. In insgesamt vier von sieben Songs ist die Stimme zu hören und stellt zweifellos ein Highlight in der mittlerweile sehr umfassenden Schaffensgeschichte der Band dar. Stichwort: Wiedererkennungswert. Da muss 2023 erst mal ein Postrock-Album um die Ecke kommen, dass es mit dieser wundervoll melancholisch-atmosphärischen Inszenierung aufnehmen kann.
Schön wäre es, wenn die Band noch einmal auf Tour nach Europa kommen würde. Ich habe sie 2018 in der Kantine am Berghain bewundern dürfen. Eine tolle, unglaublich intensive Show. Zu gerne würde ich die neuen Songs samt Sänger live auf der Bühne erleben.
Vinyl der Woche im Plattenladen oder direkt bei Label und Band
Wie bei Pelagic Records üblich gibt es im Plattenladen eine Edition auf schwarzem und farbigem Vinyl zu erwerben, in diesem Fall transparent orangenes Vinyl. Die oft spektakulären farbigen Vinyleditionen behält sich das Label für den eigenen Onlineshop vor. Hier gibt es eine Light Behind The Wall Edition (Color in Color, 100 Exemplare), eine Ninja Tiger Edition (Splatter Vinyl, 230 Exemplare) sowie die Wild Fire Edition (Marbled Vinyl, 320 Exemplare). Schwarzes Vinyl könnt ihr ebenfalls erwerben. Von allen Editionen sind noch Exemplare zu erwerben!
Auch auf der Bandcamp-Seite von Wang Wen könnt ihr die Vinyl erwerben. Hier gibt es zwei weitere farbige Vinyleditionen mit alternativem Cover-Artwork. Allerdings wird hier neben dem Kaufpreis von 40 US-Dollar auch noch Versandkosten in Höhe von umgerechnet 27 Euro fällig. Da greifen vermutlich nur die absoluten Hardcore-Fans oder Komplettisten zu.
vinyl der woche