Als sich der Eurocity am Donnerstag vormittag um viertel vor sieben gen Prag in Bewegung setzte, wusste ich absolut nicht, was mich an den kommenden vier Tagen erwarten würde. Klar, Prag ist wunderschön, das hatten mir unzählige Menschen berichtet. Und sie hatten absolut Recht, wie ich mittlerweile weiß. Was Sehenswürdigkeiten, Museen, Ausstellungen oder sonstige kulturelle Highlights betrifft, war ich gänzlich plan- und orientierungslos. Ich plane meine Reisen nicht mit einem Touristenführer, sondern lasse mich viel lieber durch die Straßen treiben, um die Atmosphäre der Umgebung aufzusaugen: Menschen, Stimmen, Geräusche. Ich habe nie verstanden, warum man in Berlin unbedingt durch das Brandenburger Tor laufen muss oder in Prag über die Karlsbrücke.
Über eine Sache hatte ich mich vor meiner Reise dann aber doch informiert. Es kommt für Leser dieses Blogs wahrscheinlich nicht als allzu große Überraschung daher: Drei Plattenläden standen vorab auf meinem Reiseplan. Vermutlich gibt es in der tschechischen Hauptstadt noch den ein oder anderen mehr, aber das konnte ich meiner Freundin unmöglich zumuten. Schließlich ist die Gleichung immer noch folgende: Pro besuchtem Plattenladen ein besuchter Vintageklamottenladen oder Flohmarkt. Da reichen drei vollkommen aus!
Verloren im Plattenladen-Dreieck
Als ich in Prag den Stadtplan des Hostels in die Hand bekam, zeichnete ich für jeden Plattenladen ein Kreuz auf die Karte. Und siehe da: alle Plattenläden befanden sich in unmittelbarer Nähe zueinander. Bequem zu Fuß zu erreichen – wie praktisch! Sofort wurde es das „Plattenladen-Dreieck“ getauft. Meine Freundin und ich wussten ganz genau, dass ich mich zusammen reißen musste, um dort nicht auf ewig verschollen zu gehen.
Als erstes stand ein Plattenladen namens Rekomando auf dem Programm. Dieser befindet sich in einer kleinen Seitenstraße unweit der Moldau und des berühmten Tanzenden Hauses, das eines der beliebtesten Fotomotive in Prag darstellen dürfte. Aus der Eintönigkeit schmuckloser grauer Betonfassaden hoben sich mehrere blau gestrichene Fenster- und Türrahmen hervor. Die liebevoll dekorierten Schaufenster boten einen ersten Blick auf das, was einen drinnen erwartet: eine ganze Menge Bücher und Schallplatten, offensichtlich überwiegend aus den Bereichen Punk und Hardcore.
Während meine Freundin sich draußen über die Kiste mit antiquarischen Büchern hermachte, die zwischen einer und neun Kronen angeboten wurden (eine Krone entspricht einem Drittel Cent!), betrat ich den Laden. Und dort fühlte ich mich sofort wie zu Hause. Liebe auf den ersten Blick sozusagen! Zugegeben, das kommt öfter vor, wenn ich von dutzenden Platten umgeben bin und der Duft von Vinyl in der Luft liegt. Aber dieser Plattenladen versprühte eine irgendwie besondere Atmosphäre. Vielleicht war es die Mischung aus antiquarischer Buchhandlung und Plattenladen. Vielleicht war es aber auch der freundliche Besitzer, der zwar nur rudimentär Englisch sprach, sich aber über jeden Besucher seines Ladens ehrlich zu freuen schien. Denn viel los war im Rekomando weiß Gott nicht. Immerhin verfügt der Laden über knapp 140 Quadratmeter – verteilt auf mehrere verwinkelte Räume. Zeitweise war ich der einzige Besucher, der sich durch die Vinylscheiben wühlte.
Ein Großteil des heimeligen Wohlfühleffekts aber war auf die Musik zurückzuführen, die aus den Lautsprechern strömte. Es mag übertrieben klingen, aber seit einer gefühlten Ewigkeit hat mich Musik mit dem ersten Hören nicht mehr derart gefangen genommen wie in diesem Augenblick. Ich musste den Besitzer einfach fragen, welches Album er dort gerade spielte. Mit mächtig Stolz in seinen Augen erklärte er mir, dass es eine Band von seinem Label poli5 sei. Den Namen verstand ich erst beim Blick auf die einfach verarbeitete Digipak-CD, die er mir entgegen hielt: Sousedi. Nie von gehört. Da scheine ich außerhalb der tschechischen Grenzen nicht der einzige zu sein, im Internet habe ich nicht eine Rezension zu dem Album mit Namen „Purpura Echo“ gefunden, die nicht auf tschechisch verfasst worden ist. Beim Schreiben dieses Artikels läuft das Album, von dem 500 Stück gepresst worden sind, jedenfalls im Hintergrund. Leider nur auf CD, weil es auf Vinyl – zumindestens bislang – nicht produziert worden ist. Für dieses Album habe ich gerne eine Ausnahme gemacht. Ihr solltet es euch unbedingt anhören, ein wahrer Geheimtipp meinerseits:
Ich muss zugeben, dass ich den halben Laden hätte leer kaufen können. Die Auswahl an Schallplatten aus den Bereichen Hardcore und Punk war schlicht atemberaubend. Egal ob Circle Jerks, Bad Brains, Fugazi oder Gorilla Biscuits – es gab dort keinen Klassiker, den man nicht als Reissue oder Second Hand erwerben konnte. Hinzu kamen ein paar ausgewählte Neuheiten und Vinyl aus den Bereichen Post-Rock, Ambient oder Experimental. Auch der Second Hand-Bereich ist wohl sortiert – mit zahlreichen Klassikern in durchweg gut gepflegtem Zustand. Abgerundet wird das musikalische Sortiment durch Band-Shirts und teils sehr schön anzuschauende Poster, von denen einige sogar kostenlos mitgenommen werden können.
Gespannt war ich im voraus natürlich, was das Thema Preise anbelangt. Den Coffee To Go oder das Sandwich für unterwegs bekommt man in Prag fast hinterher geschmissen, aber wie sieht es bei Schallplatten aus? Knappe Antwort: Kaum ein Unterschied auszumachen. Hier und da mal der ein oder andere Euro weniger, ansonsten bewegten sich die Preise auf einem ähnlichen Niveau wie in hiesigen Plattenläden. Vermutlich hat man hier als Händler – ob nun in Tschechien oder Deutschland – nur wenig Gestaltungsspielraum. Bei Second Hand hingegen sieht das ein wenig anders aus, wie ich vor allem im zweiten Plattenladen auf meiner Tour fest stellen sollte.
Von Jennifer Lopez bis Karel Gott – ein Paradies für Crate Digger
Auch der zweite Plattenladen befand sich in einer Seitenstraße der Prager Neustadt. Während sich wenige Meter weiter die Menschenmassen auf der Shoppingmeile Narodni in Richtung des historischen Wenzelsplatzes wälzten, verirrte sich in die Opatovická kaum eine Menschenseele. Laufkundschaft ist hier definitv Fehlanzeige. Nach dem Betreten des Ladens hatte ich den Eindruck, dass diese Tatsache die beiden Besitzer nur wenig zu interessieren schien. Nerds. Das war die Umschreibung, die mir beim Anblick der beiden als erstes in den Sinn kam. Im positiven Sinne, versteht sich. Leider konnte ich sie nicht verstehen, aber vermutlich unterhielten sie sich gerade darüber, ob Revolver oder Sergeant Pepper´s das beste Album der Beatles ist. Oder so ähnlich… Einer der beiden bediente permanent eine Plattenwaschmaschine, deren beeindruckende Geräuschkulisse die gechillte Soulmusik im Hintergrund locker übertönte. Nicht ohne Grund umfasst das Sortiment von phono.cz nicht bloß Vinyl, sondern alles, was die audiophile Seele zum Hören und zur Pflege der Platte benötigt: Nadeln, Tonabnehmer, Verstärker, Plattenspieler und vieles mehr.
Auf einer Fläche von vielleicht 40 Quadratmetern findet der Plattenliebhaber Unmengen an Second Hand Vinyl. Nur wenige Neuerscheinungen schummeln sich in das Sortiment. Während es im vorderen Bereich kistenweise Vinyl aus den Bereichen Funk, Soul, Reggae, Jazz, aber auch Afrolatin oder brasilianische Musik zu bewundern gab, wurde der hintere Raum von Hip Hop und R&B, elektronischer Musik, Oldies und einheimischen Interpreten dominiert. Für Crate Digger ist phono.cz ein kleines Paradies. Die Platten sind alle in recht gutem Zustand, die Preise trotzdem sehr gering – nicht ansatzweise vergleichbar mit deutschen Flohmärkten. Aus einigen Kisten konnte man sich zehn Vinyl für 200 Kronen, also umgerechnet nicht einmal 8 Euro, raussuchen. Darunter fand sich natürlich auch viel Mist oder tschechische Interpreten, die mir – einmal abgesehen von Karel Gott vielleicht – nicht viel gesagt haben. Es fanden sich aber auch Klassiker von Fleetwood Mac, Supertramp und eine ganze Menge Soundtracks. Insbesondere Fans von R&B dürften hier mächtig auf ihre Kosten kommen. Ich habe zahllose Platten entdeckt, von denen ich nicht erwartet hätte, dass es sie (noch) auf Vinyl gibt, z.B. von Usher, Snoop Dogg, Ginuwine oder sogar Jennifer Lopez. Viele Schallplatten kosten bei phono.cz nicht mehr als 50 Kronen, also umgerechnet zwei Euro.
Zu gerne hätte ich mir als Vergleich ein Bild von tschechischen Flohmärkten gemacht. Denn wenn die Preise von phono.cz als Maßstab dienen, dürfte es dort für Vinylreisende zahllose Schnäppchen zu entdecken geben. Beim nächsten Mal vielleicht! Den dritten Plattenladen musste ich mir leider sparen. An der angegebenen Adresse war weit und breit kein Plattenladen zu sehen. Auch Google Maps konnte mir an dieser Stelle nicht weiter helfen. Vermutlich ist der Laden umgezogen. Passiert halt! Trotzdem war Prag definitiv eine Reise wert. Und das bezieht sich nicht allein auf die beiden Plattenläden, denen ihr durchaus einen Besuch abstatten solltet, falls es euch einmal nach Prag verschlägt. Um es mit den Worten des großen Philosophen Arnold Schwarzenegger zu sagen: I´ll be back!