Wie ihr als regelmäßige Besucher von Vinyl Fantasy sicherlich schon bemerkt habt, verzichte ich auf dieser Webseite zu großen Teilen auf Musikrezensionen. Das ist auf die einfache Tatsache zurückzuführen, dass ich mich frage, warum meine Meinung über ein Album für irgend jemanden da draußen relevant sein sollte. Außerdem gibt es schon zehntausend andere Webseiten, die Alben mit Sternen, Punkten oder was auch immer bewerten. Wer braucht da noch eine weitere? Zum Abschluss des Jahres möchte ich euch dann aber doch meine persönlichen (musikalischen) Highlights aus 2014 mitteilen.
Während ich versuche, Vinyl Fantasy genretechnisch möglichst breit aufzustellen, beschränken sich die unten erwähnten Alben zumeist auf den eher rockigen Bereich. Im kommenden Jahr möchte ich aber – wenn möglich – das Autorenteam erweitern, so dass die Jahrescharts 2015 hoffentlich etwas differenzierter ausfallen werden. Vielleicht ist aber trotzdem für den ein oder anderen unter den folgenden Schmuckstücken etwas mit dabei! Viel Spaß beim Lesen und ein grandioses Jahr 2015 an alle Leser!
Die coolste Vinyledition des Jahres: Jurassic Park 20th Anniversary Edition Original Motion Picture Soundtrack
Die Soundtracks von Mondo muss man einfach lieben. Regelmäßig erscheinen ausgewählte Schmuckstücke in hochwertiger Aufmachung. Einzig nervig ist die zumeist recht geringe Limitierung und das zufällige Hinzufügen von besonderen Farbvariationen, die zwar für Freude bei jenen sorgt, die ein Exemplar erhalten, anschließend aber eBay und Discogs mit Vinyl zu unverschämten Preisen überflutet. Offensichtlich gibt es aber genügend Leute, die bereit sind, tief ins Portemonnaie zu greifen. Von der Jurassic Park Edition sind mit insgesamt 5000 Exemplaren verhältnismäßig viele gepresst worden – in verschiedenen Varianten. Anscheinend reicht das aber trotzdem nicht aus. Hipster scheinen eine besondere Vorliebe für Dinosaurier zu haben. Bei Instagram und Facebook habe ich sehr viele Kommentare von Vinylfans erhalten, die sich massiv darüber ärgern, diese Edition verpasst zu haben. Und ich kann das nachvollziehen, denn der Soundtrack ist wirklich sehr schick geworden. Und das Mastering ist absolut atemberaubend, einen solchen Klang habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Bei Discogs gehen die Versionen auf Dilophosaurus Vinyl (siehe Foto) und bernsteinfarbenem Vinyl im Schnitt für 125 Euro weg, lediglich jene auf schwarzem Vinyl ist mit knapp 50 Euro relativ erschwinglich.
Albumcover und Artwork des Jahres: Reason To Care – Evyn
Die Brandenburger sind nur knapp an der Jahres-Top10 vorbeigeschrammt, denn neben dem tollen Artwork haben sie nicht minder großartige Songs zu bieten. Das Album handelt von der Geschichte des 14jährigen Evyn, der sich auf die Suche nach seinem Bruder begibt, der drei Jahre zuvor verschwunden ist. Das komplette Artwork wurde von Gitarrist Christian Brix höchstselbst gestaltet. Sogar die Farbe der Vinyl (mint & hot pink) fügt sich perfekt in das Gesamtkonzept ein. Auf minzfarbenem und schwarzem Vinyl ist das Album nach wie vor zu haben, u.a. direkt bei der Band. Auf der Bandcamp-Seite von Reason To Care könnt ihr euch das Album weiterhin in voller Länge anhören.
Reissue des Jahres: If These Trees Could Talk – Self-Titled & Above The Earth, Below The Sky
Irgendwie ist es ja echt nervig, LPs direkt in den USA zu bestellen. Die Portokosten sind teilweise eine absolut Frechheit und übersteigen manchmal sogar die Kosten für die bestellte Ware. Doch bei einigen Editionen geht einfach kein Weg dran vorbei, da sie nie den Weg in den regulären Handel, geschweige denn nach Europa finden. Das wunderbare Label The Mylene Sheath hat im Spätsommer ein Deluxe-Reissue der beiden ersten Alben von If These Trees Could Talk veröffentlicht. Um den 50. Release des Labels zu feiern, wurden die Alben in einer schicken, hochwertigen Gatefold Jacket samt komplett neuem Artwork veröffentlicht. Auf dem Foto seht ihr die auf 250 Stück limitierte Variante auf „Clear Vinyl w/Black Center and Grey & White Splatter“ (Seite A und B) sowie „Clear Vinyl w/White Center and Grey & Black Splatter“ (Seite C und D). Es gibt ebenfalls noch Varianten auf „Translucent Orange / Translucent Sea Blue“ sowie Clear Vinyl. Bei Discogs sind sämtliche Varianten momentan für 50 Euro aufwärts zu erhalten.
Kurioseste Fehlpressung des Jahres: Alt-J – This Is All Yours
Also irgendwie passt das wie die Faust aufs Auge. Ich habe mich sehr auf das neue Album von Alt-J gefreut, da ich „An Awesome Wave“ nach wie vor für eines der besten Alben der letzten Jahre halte. Deswegen finde ich es schade – trotz zigfacher Hördurchläufe – konstatieren zu müssen, dass „This Is All Yours“ für mich die größte Enttäuschung des Jahres ist.
Vielleicht sollte ich mir das Album aber doch auf Vinyl zu legen. Es existiert nämlich eine interessante Fehlpressung des Albums. Leider ist dazu keine offizielle Stellungnahme von Seiten des Labels zu bekommen, dennoch existieren im Internet auf mehreren Seiten Berichte darüber, dass bei einigen Exemplaren auf der A-Seite (es handelt sich um eine Doppelvinyl mit vier Seiten) nicht die ersten Songs von „This Is All Yours“ zu hören sind. Statt dessen hört der Käufer zum Einstieg „Dancing In The Street“, den ersten Song auf der B-Seite von „Kinda Kinks“. Statt der A-Seite des aktuellen Albums von Alt-J wurde tatsächlich die B-Seite des 1965 erschienenen zweiten Albums von The Kinks auf Vinyl gepresst. Da muss im Presswerk wohl jemand ordentlich gepannt haben, wobei es natürlich durchaus hätte schlimmer kommen können. Mir persönlich ist die Kinks-Variante jedenfalls lieber als die von Alt-J! 🙂
Die besten Alben des Jahres:
1. Barren Hope – Anaffa
Es passiert mir selten, dass mich ein Debütalbum einer Band von Beginn an derart gefangen nimmt wie „Anaffa“. Bevor ich das Album im Sommer zum ersten Mal wahrgenommen habe, hatte ich von der Band noch nie etwas gehört. Bereits nach den ersten Sekunden des Albums war klar, dass es sich bei Barren Hope nicht um eine weitere Screamo-Band handelt, die sich lyrisch an der verkorksten Kindheit in einem langweiligen Vorort entlang hangelt. Es mag an der israelischen Herkunft von Barren Hope liegen, die einen als Hörer sofort den Schmerz und die Wut der Band spüren lässt. Hier werden Themen wie der Nahostkonflikt, Religion oder der Einfluss des Pflicht-Wehrdienstes behandelt, die (junge) Israelis in ihrem Alltag beeinflussen. Ihr solltet euch definitiv näher mit dem Booklet auseinander setzen, das neben den Texten auch Kommentare zu jedem einzelnen Song enthält. „Anaffa“ braucht ganze 21 Minuten, um mich bei jedem Hören einfach nur umzuhauen. Auch live gehen die Jungs steil nach vorne. Also unbedingt reinhören! (Anm.: Für ganze 10 Euro könnt ihr euch im Onlineshop des Labels lifeisafunnything ein Exemplar auf Vinyl sichern. Auch der Rest des Katalogs ist durchweg großartig!)
2. Pianos Become The Teeth – Keep You
Wenn eine Band von einem Album auf das andere ihren kompletten Sound über den Haufen wirft, kann das durchaus in die Hose gehen. Zum einen, weil es oftmals einfach scheiße klingt und zum anderen weil es die Fans oft überfordert, die den Sound der Band so mochten, wie er ist. Als ich die erste Single vor der Veröffentlichung von „Keep You“ gehört habe, war mein erste Gedanke: „Was zum Teufel soll das denn sein!?“ Das war nicht die aggressive Screamoband, auf deren ersten beiden Alben sich Sänger Kyle verzweifelt die Seele aus dem Leib schrie. Der Hintergrund für den Stilwandel ist ein trauriger: Auf Album 1 und 2 verarbeitete der Sänger den Tod seines Vaters, der an multipler Sklerose gestorben ist. Dementsprechend wütend und aggressiv fielen die Songs aus. Auf „Keep You“ ist die Hoffnung zu spüren, dass Kyle den Tod seines Vaters verarbeitet hat und zur Erkenntnis gelangt, dass das Leben weiter geht. Auch wenn der Schmerz immer noch präsent ist – „I’m still always slowly waiting for what follows, for what I’ve learned about being so defined by some one dying.“ Das Resultat ist ein Album, das in mir regelmäßig Gänsehaut auslöst und mit jedem Hören besser wurde bzw. noch immer wird.
3. Mono – Rays Of Darkness/The Last Dawn
Über die beiden neuen Alben der japanischen Postrockgötter scheiden sich durchaus die Geister, wenn man einmal ein paar Rezensionen diverser Magazine und Blogs zurate zieht. Jan Wigger hat es in seiner Abgehört-Rubrik auf SPIEGEL Online wunderbar in Worte gefasst: „Es gibt sie noch immer: Die Band, zu der mir zeitlebens alle Worte fehlten, die Band, die weiß, dass wir mit der Vergangenheit abgeschlossen haben, die Vergangenheit aber nicht mit uns; die Band, die erkannt hat, dass Traurigkeit das edelste (und schwächste) Gefühl ist und hinter allem, was gesprochen wird, auch das Unausgesprochene mithört.“ Nicht nur für ihn gehören die Alben zum Besten aus 2014. „Recoil, Ignite“ ist für mich zudem der tollste Song des Jahres. Die Vinyledition im schicken Die-Cut Gatefold Cover von Pelagic Records ist zudem auch noch eine der schicksten überhaupt. Ein perfektes Paket also!
4. The Tidal Sleep – Vorstellungskraft
Über das Album der Jungs aus dem Süden der Republik habe ich ja bereits im August ausführlich geschrieben. Ich bin nach wie vor sehr froh, dass ich damals die Pre-Order-Schlacht samt abstürzendem Server heil überstanden habe und mir ein Exemplar der auf 150 Kopien limitierten Pressung auf transparent/blauem Vinyl sichern konnte. Mittlerweile besitze ich das Album auch auf der guten alten Musikkassette, von der es bei Fear Of Height Records noch ein paar Exemplare für 5 Euro das Stück zu ergattern gibt. Ich zitiere mich dann an dieser Stelle mal selbst: „Die Band vereint auf “Vorstellungskraft” derart mühelos zerbrechliche und aggressive Momentaufnahmen miteinander wie ich es lange nicht erlebt habe (…) Ruhiger Seegang entwickelt sich im Bruchteil einer Sekunde in einen rauschenden Tsunami. “When your sleep is as cold as the sea and you’re afraid that your breath will freeze, I’ll be your spark, a spark so strong I will ignite all oceans at once.”“
5. Restorations – LP3
Uncle M aus Münster stand auch in diesem Jahr mal wieder für Qualität. The Smith Street Band, Apologies, I Have None, Lagwagon, KMPFSPRT – allesamt gute bis absolut grandiose Alben. Etwas herausgestochen hat für mich das dritte Album von Restorations. Es ist mir ehrlich gesagt vollkommen unverständlich, dass die ersten beiden Alben der Band komplett an mir vorbei gegangen sind. Erst recht angesichts der Tatsache, dass ich das einzige Album von Sänger Jon Loudons vorheriger Band Jena Berlin in meiner Plattensammlung habe. Stöbert man einmal durch die Rezensionen zu LP3 fallen dort Namen wie Bruce Springsteen, Sunny Day Real Estate, Chuck Ragan, Rival Schools, The Menzingers oder Rise Against. Passt alles irgendwie. Doch in meinen Augen hat LP3 alles das, was The Gaslight Anthem auf ihrem ziemlich enttäuschenden 2014er Album „Get Hurt“ haben vermissen lassen. Und das ist als großes Kompliment gemeint! 🙂
6. Iceage – Plowing Into The Field of Love
Weiter oben habe ich geschrieben, dass es stets ein Risiko ist, wenn Bands von einem Album zum nächsten ihren Stil ändern. Iceage scheint das nicht wirklich zu interessieren, sie wechseln diesen einfach regelmäßig. Keines der drei Alben klingt wie das andere. Mittlerweile aber scheinen sie ihren eigenen „unstable sense of peace“ (Pitchfork) gefunden zu haben. Mit „Plowing Into The Field Of Love“ liefern sie dreckigen Post-Punk ab, der live auf der Bühne übrigens noch weitaus intensiver ausfällt. Es ist durchaus faszinierend, den vier Jungs, die in der Kneipe vermutlich immer noch nach dem Ausweis gefragt werden, dabei zuzusehen, wie sie in ihrer Musik versinken und dabei komplett vergessen, mit dem Publikum zu interagieren. Vielleicht sind ihnen die pogenden Menschen vor der Bühne auch einfach egal, denn zumindest beim Aufnehmen der Alben scheinen sie auf die Meinung von Kritikern und Fans nicht viel Wert zu legen.
7. Grand Griffon – Mattachine
Mit „Hinter den Spiegeln“ und „Initiale“ haben Escapado Mitte der 2000er zwei grandiose deutschsprachige Hardcore-Alben abgeliefert. Nach dem Ausstieg von Sänger Helge und Bassist Gunnar kam da leider nur noch Enttäuschendes. Umso besser, dass die beiden Genannten mit Grand Griffon eine neue Band gründeten. Brauchte der Vorgänger „Protektor“ ein paar Umläufe auf dem Plattenteller, frisst sich das aktuelle Album direkt in die Gehörgänge, auch wenn die Lyrics gewohnt düster ausfallen. Bei dem homogenen Werk ist es verdammt schwierig einen Song hervorzuheben, dennoch solltet ihr in das überragende „Siste linjer“ reinhören, zu dem auch Jan Arne von Captain Planet ein paar Zeilen beisteuert. „Morgen erinnert sich an gar nichts. Und Gestern wartet nicht auf dich. Die Gezeiten haben sich umgekehrt. Du liegst am Meeresboden, doch das Wasser will dich nicht.“
8. Spoon – They Want My Soul
Ich liebe diese Band. Seit Jahren zählt Spoon zu meinen absoluten Lieblingen, Alben wie „Kill The Moonlight“ oder „Gimme Fiction“ sollten in keiner Plattensammlung fehlen. Ach was sag ich, da gehört die komplette Diskographie rein. Nur schade, dass diese Band nie die Aufmerksamkeit bekommen hat, die sie definitiv verdient. Und ich rede hier jetzt nicht von Top 10-Platzierungen, sondern Dingen wie dem Titelbild auf der Intro oder einem ausverkauften Konzert in der Columbiahalle. Als ich die Band im Juni im doch recht kleinen Bi Nuu gesehen habe, war dieses nicht einmal voll gefüllt. Ein Witz! Aber egal, hört ihr doch alle Alt-J oder wen auch immer, ich lausche dann weiter Britt Daniel, der in seinem Leben glaube ich noch keinen schlechten Song geschrieben hat.
9. Violent Soho – Hungry Ghost
Violent Soho, anyone? In ihrer australischen Heimat sind die Jungs eine der größten Rockbands (das aktuelle Album erreichte Goldstatus), doch außerhalb der Grenzen des Landes kennt die Band keine Sau. Das sollte sich ändern! Ihre Musik wird von selbst ernannten Experten gerne als Post-Grunge tituliert. Keine Ahnung, was das sein soll, aber Nirvana und die Pixies müssen oft als Referenzen herhalten. Es könnte eine Band schlimmer treffen.
Ich bin mir nicht sicher, aber auf offiziellem Wege hat das Album auf Vinyl leider nie den Weg nach Deutschland gefunden. Lediglich bei jpc ist die Vinyl gelistet – samt der Angabe „Lieferzeit beträgt mind. 4 Wochen (soweit verfügbar beim Lieferanten)“. Ihr solltet euer Glück auf alle Fälle einmal probieren, es lohnt sich – versprochen! „Covered In Chrome“ war meine Feel-Good-Hymne für 2014…
10. Human Abfall – Tanztee von unten
Von einigen Lesern weiß ich, dass sie sich das Album aufgrund meines Artikels zugelegt haben. Das freut mich sehr. Wirklich. Doch warum gibt es von der wundervollen Edition in schickem Leinen immer noch Exemplare zu kaufen, wenngleich auf nur noch ein paar Handvoll? Also begebt euch gefälligst direkt in den Plattenladen eures Vertrauens oder direkt in den Shop von Sounds Of Subterrania und kauft dieses einzigartige Stück deutscher Musik. „Dieses Album fordert dich. Es möchte, dass du dich damit beschäftigst. Es ist kein Album, mit dem man auf den Ohren durch die Straßen läuft. Kein Album fürs nebenbei im Hintergrund hören. Vinyl ist das perfekte Format für diese zehn Lieder. Platte auflegen, hinsetzen, zuhören!“ Meinen Sätzen aus dem April habe ich nichts weiter hinzuzufügen.