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Johnny Marr (The Smiths) über das Sterben der Plattenläden

Johnny Marr kritisiert Niedergang des Plattenladens
2013 habe ich Plattenläden in zahlreichen Städten in drei verschiedenen Ländern einen Besuch abgestattet. Und ihr könnt mir glauben, in manchen Städten ist es gar nicht so einfach, überhaupt einen zu finden. Schon seit einer ganzen Weile gehören Plattenläden nicht mehr zum alltäglichen Stadtbild. In einem emotionalen Facebookpost hat sich Ex-The Smiths-Gitarrist Johnny Marr verärgert über das Sterben der Plattenläden ausgelassen. Einen Hauptschuldigen hat er dabei ausgemacht, denn frei übersetzt lautet die Überschrift des Beitrags in etwa „Immobilienhaie haben meine Platten von der Straße geklaut“ (Landlords Stole My Records Off The Street). Ich habe den kompletten Beitrag frei übersetzt und ein paar persönliche Anmerkungen hinzugefügt.

„Landlords Stole My Records Off The Street“

„Meiner Meinung nach ist ein Plattenladen weder ein Laden für Experten und Spezialisten, noch ein Second Hand-Gebrauchtladen. Ein Plattenladen ist ein Geschäft wie jedes andere, wenngleich ein sehr wichtiges. Plattenläden waren einst Treffpunkte, an denen man etwas über Musik, Klamotten, Stil und Clubkultur lernen konnte. Jeder interessante Mensch in meiner Stadt war zu irgend einem Zeitpunkt im Plattenladen anzutreffen. Es gibt so viel Gerede über den Tod von Vinyl und den Boom von Downloads – als ob wir vor unseren Platten flüchten würden, weil wir unseren iPod so sehr lieben!
Einer der Hauptgründe, warum die Vinylverkäufe eingebrochen sind, ist die Tatsache, dass wir keinen Plattenladen mehr zu Gesicht bekommen, wenn wir durch die Straßen laufen. Die Profitgier der lokalen Gemeindevertreter sowie der Grundstückseigentümer und Vermieter bedeutet in der Konsequenz, dass in unseren Städten und Gemeinden die Platten- und Klamottenläden, die wir alle lieb(t)en, durch überteuerte Sandwichläden und Bistros ersetzt wurden. Im Verlauf der Neunziger haben Läden, die von wahren Liebhabern von Fotografie oder Musik gemietet und betrieben worden sind, dem Wettbewerbsdruck nicht länger stand halten können, weil in den Augen lokaler Politiker und Immobilienhaie der nächste Starbucks-Dollar glänzte. Es war also nicht allein die Schuld von Pixel und Megabyte.
Was ist heute geblieben? Die Mieten auf den Hauptstraßen sind derart teuer, dass sie nur noch von den reichsten und austauschbarsten der Konsumgiganten bezahlt werden können. Das sind schlechte Nachrichten für alle, die sich ein Stück Kunst und Kultur erhalten möchten. Und nichts anderes stellt eine Schallplatte dar! Plattenläden verkaufen nicht etwa skurrile Artefakte, auch wenn die „Kultur der Hauptstraße“ uns genau das weismachen möchte. Wenn Plattenläden als kommerzielle Geschäfte oder gar Ketten funktionieren würden, würde der Verkauf von Vinyl florieren. Das würde nicht etwa heißen, dass wir unsere geliebten iPods in die Tonne treten, sondern lediglich, dass wir ein Stück Musik unserer Lieblingsband erwerben – mit einem wahren Kunstwerk als Cover und einem grandiosen Klang!
Nicht schlecht für einen Preis von zwei Latte, oder?“

„Da hinten links gibts nen Saturn!“

Wobei ich mich frage, wie teuer ein Latte Machiato in London sein muss, dass man dafür ein komplettes Album auf Vinyl erhält. Hier in Berlin bekommt man für den Preis selbst in Prenzlberg im besten Falle eine Seven Inch. Ganz unrecht hat er natürlich nicht, der gute alte Johnny Marr, wenngleich die Kritik ein bißchen zu kurz greift. Fakt ist sicherlich, dass die Mieten in den Innenstädten und Fußgängerzonen dieser Republik für den Betreiber eines Plattenladens unbezahlbar sind. Schuld daran sind die großen Konsumtempel mit den immer selben Filialen an austauschbaren Mode- und Fast Food-Ketten, die in scheinbar jeder Stadt mittlerweile bahnhofs- oder zentrumsnah zu finden sind.

Mit dieser stadtpolitischen Entwicklung geht aber auch eine Veränderung des Konsumverhaltens daher. Aus mir vollkommen unersichtlichen Gründen sind die großen Einkaufszentren ständig gut gefüllt. Kaum niemand nimmt sich die Zeit, zwei Stunden und mehr in einem Plattenladen zu verbringen, mit dem Inhaber zu schnacken und sich durch Platten zu hören. Dass eben dieses Potential der Entschleunigung den Reiz vom Plattenladen und vom Vinylhören an sich ausmacht, haben (leider) viele noch nicht verstanden. Statt dessen hetzen sie auf ihrer Schnäppchenjagd lieber von trister Fahrstuhlmusik begleitet von einem Klamottenladen zum nächsten, ergötzen sich am schnellen Burger und Coffee To Go und erledigen im Erdgeschoss-Supermarkt gleich noch den täglichen Einkauf. Haben statt Sein lautet offensichtlich das bevorzugte Motto.

Der Plattenladen als – etwas überspitzt formuliert – „romantische Wohlfühloase“ scheint in unserer konsumgetriebenen Zeit seinen Platz verloren zu haben. Kann man ja schließlich auch alles bei Amazon bestellen. Oder einfach runterladen. Als ich im Februar in Koblenz, einer mir vollkommen fremden Stadt, unterwegs war und vergeblich nach einem Plattenladen Ausschau hielt, habe ich Passanten gefragt. Die Reaktion waren ungläubige Blicke und der Hinweis: „Da hinten links gibts nen Saturn!“ Schöne neue Welt, in der wir da leben…

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